Wie nützlich ist das denn?

Veröffentlicht am von Roland Frickenhaus

Roland Frickenhaus
Roland Frickenhaus
Bild: Roland Frickenhaus

Wer im Entwurf des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) blättert, wird feststellen, dass dort ein Begriff auftaucht, der im noch gültigen SGB XII nicht zu finden ist. Es geht darum, dass künftig in die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität auch die „Prüfung der Wirksamkeit der Leistungen“ in das Prüfrecht aufgenommen wird.

Originalton: “Da eine unwirksame Leistung nicht wirtschaftlich sein kann, ist die Wirksamkeit der Leistung vom Prüfrecht erfasst“ (Anmerkungen zum § 128, zu finden auf Seite 312 als vorletzter Satz im zweiten Absatz).

Das erweckt den Anschein, als schuldeten die Leistungserbringer dem Kostenträger künftig den Nachweis, dass ihre Angebote auch wirksam sind, so so.

Und der Lehrer in der Schule, wem schuldet der einen Nachweis, dass sein „Angebot“ wirksam ist? Ist Unterricht, der nicht zur Versetzung führt, unwirtschaftlich? Und was ist eigentlich mit meinem Hausarzt? Schuldet der meiner Krankenkasse meine Gesundheit?

Kann es sein, dass sich da durch die Hintertür ein Denken breit macht, das im Grunde nichts anderes als die Frage nach Nützlichkeit ist? (Bei geschichtlich Interessierten läutet es da bereits im Hinterstübchen …!)

Natürlich geht es nicht um Menschen, sondern um Leistungen, so soll glauben gemacht werden. Aber Achtung: Die Bewertung, ob eine Leistung wirksam oder unwirksam ist, bezieht sich in ihrer Anwendung immer auf den einzelnen Menschen!

Und so geht es dann doch darum, ob sie bei Herrn XY Sinn macht oder nicht. Was bringt Herrn XY diese oder jene Teilhabeleistung? Rechnet sie sich, oder ist sie unwirtschaftlich, weil sie „unwirksam“ ist?

Da grinst uns eine Denke an, die doch ethisch längst geächtet schien…

Aber was ist eigentlich, liebe Sozialhilfeträger, wenn Leistungen deshalb unwirksam sind, weil die Dosis nicht stimmt?

Da haben wir also Herrn F. zu betreuen, der so viel Hunger hat, dass er jeden Abend fünf Scheiben Brot essen könnte. Das Budget reicht aber nur für zwei Scheiben. Jeden Abend geht Herr F. unwillig und aggressiv zu Bett und versucht noch schnell, hier und da seinen Mitbewohnern etwas Essbares zu mausen.

Die Maßnahme „Abendbrot“ ist nicht wirklich mit Erfolg gekrönt. Herr F. würde, wenn er sprechen könnte, sagen: „Gebt mir doch einfach noch drei Scheiben mehr!“, während der Verwaltungsmensch sagt: “Sehen Sie, die ganze Maßnahme ist wirkungslos, weil er schon seit Jahren jeden Abend dasselbe Verhalten zeigt!“

Liebe Kämmerer hört und staunt: Mit fünf Scheiben Brot ist die Maßnahme „Abendbrot“ mehr als doppelt so teuer, aber wirksam – und damit wirtschaftlich!

Landauf landab machen Betroffene täglich die Erfahrung, dass Maßnahmen deshalb unwirksam sind, weil sie schlichtweg mit zu geringen Ressourcen hinterlegt sind.

Noch mal zu den fünf Scheiben Brot und Herrn F.: Die Schlussfolgerung, dass jeder zum Abendessen fünf Scheiben essen sollte, ist genauso falsch wie die, allen nur zwei Scheiben zu geben. Und künftig jeden 3 ½ Scheiben zu geben ist auch falsch. Worauf es ankommt, ist der individuelle Bedarf!

So mutet es beängstigend antiquiert an, dass das Entgelt (wieder!) nach Gruppen von Hilfeempfängern mit vergleichbarem Hilfebedarf kalkuliert werden soll.

Da wird es künftig irgendetwas zwischen zwei und fünf Scheiben Brot geben. Und wer weniger isst als ihm zusteht, kann ja diejenigen unterstützen, die mehr Appetit haben, als sie haben dürften.

Unterm Strich hebe sich das erfahrungsgemäß immer irgendwie auf, so die Argumentation der Kostenträger, die uns ja schon mit dem Persönlichen Budget ihre Grenzen offenbarten…

Liebe Kämmerer: Wirtschaftlichkeit ist nicht gleichzusetzen mit Sparsamkeit! Und es hat den Anschein, als seien nicht alle Absolventen der Verwaltungshochschulen auf diesen feinen Unterschied aufmerksam gemacht worden…

Vor vier Wochen ist Frau F. ins Krankenhaus gekommen. Seit Jahren nimmt sie wegen ihrer Herzprobleme entsprechende Medikamente. In letzter Zeit klagte sie häufiger über Beschwerden, sodass sich die Ärzte entschlossen, sie medikamentös neu einzustellen.

Nachdem die Ärzte zunächst alles abgesetzt hatten, haben Sie dann vorsichtig ein neues Präparat so aufdosiert, bis sich die erhoffte Wirkung eingestellt hat. Und morgen kommt sie wieder nach Hause.

Liebe Sozialhilfeträger, das ist Wirtschaftlichkeit: Jeden individuell so einstellen, bis die Dosis wirkt! Das kann schon mal hoch und runter gehen und ist nie fertig; aber immer sachlich korrekt.

Was Ihr aber macht: Ihr legt in jedem Patientenzimmer eine bestimmte Menge von Tabletten auf den Tisch, die Ihr billig ("im unteren Drittel") in irgendeiner Pharmabude eingekauft habt und geht dann davon aus, dass Menge und Zusammensetzung schon irgendwie passen...

Mit der Finanzierung von „Gruppen von Patienten mit vergleichbaren Herzproblemen“ verlagert Ihr Eure Wirkungsverantwortung auf unangenehm subtile Weise auf Andere und nehmt dabei leichtfertig in Kauf, dass totgeglaubte Phantasien Urständ feiern können!

Dabei ist doch klar: Eine Bildung von Gruppen kann wohl sparsam, aber niemals wirtschaftlich sein, weil sie sich nicht am individuellen Bedarf orientiert, sondern Bedarfe (Menschen) clustert. Und genau deshalb gehört die Gruppenbildung abgeschafft! Sie ist nämlich nicht wirtschaftlich!!

Wenn man sich beispielsweise anschaut, mit welcher "Dosis" Ihr die "Therapieform" ambulant betreutes Wohnen für chronisch psychisch kranke Menschen ausstattet, ist doch klar, dass nahezu alle aufgrund von Unterdosierung wieder zurück ins Heim müssen!

Und noch was: Steuerungsverantwortung heißt Wirksamkeitsverantwortung! Spätestens jetzt ist klar, wer hier eigentlich Verantwortung trägt! Hat doch der, der steuert, automatisch Verantwortung für Wirksamkeit. Oder gibt es jemanden, der der Ansicht ist, dass man das voneinander trennen kann? Und Wirksamkeit wiederum wird einzig durch Wirtschaftlichkeit erreicht, nicht aber durch Sparsamkeit! So einfach ist das. Und so unangenehm…

Solange Ihr aber in Euren jährlichen Kennzahlenvergleichen diejenigen unter Euch zum Ritter schlagt, die am sparsamsten sind, und nicht diejenigen, die am wirtschaftlichsten (=wirksamsten) sind, grinst uns eine Denke an, die offensichtlich nicht nur daran Interesse zu haben scheint, größtmöglich die öffentlichen Finanzen zu schonen, sondern die UN-BRK gleich mit.

Das ist, gelinde gesagt, extrem befremdlich!

Sicher ist jetzt schon, dass Euch verwundertes Augenreiben garantiert ist, wenn Ihr künftig losziehen werdet, um zu prüfen, ob Eure bereitgestellten Ressourcen (überhaupt) geeignet sind, Wirksamkeit zu entfalten.

Zur eigenen Entlastung (und Glaubwürdigkeit...) wäre da eher angezeigt, einmal in Berlin Bescheid zu geben, dass es der Quadratur des Kreises gleichkommt, unter Sparsamkeitsvorgaben ("Unteres Drittel") Wirksamkeit einzukaufen.