Politikwechsel gegen Dreckskerle durchsetzen

Veröffentlicht am von Harald Reutershahn

Harald Reutershahn
Harald Reutershahn
Bild: Bettina Wöllner-Reutershahn

In Deutschland begehen die regierenden Parteien räuberischen Diebstahl an den sozialen Menschenrechten im Land. Die Ergebnisse sind millionenfache Armut von Kindern und Alten, Ausgrenzung von Behinderten, Armut trotz Arbeit, Perspektivlosigkeit der Jugend und Umverteilung zu Gunsten der Reichen, der Konzerne und Banken. Die Waffen sind Anschläge gegen die Menschenrechte Behinderter, Arbeitslosigkeit, das Hartz-System, Spaltung der Belegschaften in den Betrieben durch Leiharbeit und Werkverträge, Mietwucher und Wohnungsnot, Profitorientierung des Gesundheitssystems, Verschuldung der Kommunen und Privatisierung. Überdies wird das Elend von Flüchtlingen dazu benutzt, um Rassismus zu schüren, mit dem von den Verantwortlichen der Ausbeutung und des Sozialkahlschlags abgelenkt wird.

Im Jahr 2001 hatte der Deutsche Bundestag beschlossen, dass jede Regierung zur Mitte der Wahlperiode einen Armuts- und Reichtumsbericht vorzulegen hat. Knapp ein halbes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl hat nun die Bundesregierung der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD mit einer Rekordverspätung von anderthalb Jahren ihren Bericht der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Christ- und Sozialdemokraten haben so lange Zeit gebraucht, weil das Dokument zuvor noch gründlich frisiert und geschönt werden musste. Beispielsweise wurden Wohnungslose, Gefängnisinsassen, Flüchtlinge, Pflegebedürftige und behinderte Menschen in Deutschland sicherheitshalber garnicht erst in den Armutsstatistiken erfasst.

So hat die Bundesregierung durch die Streichung und Umformulierung ursprünglich kritischer Textpassagen im 5. Armuts- und Reichtumsberichts dafür gesorgt, das Problem der wachsenden Armut in Deutschland kleinzureden und zu bagatellisieren. Vor der Bundestagswahl muss vor allem unkenntlich gemacht werden, dass die Regierung ihre Politik für die Reichen macht. Dies geht aus einem Forschungsbericht hervor, in dem Wissenschaftler nach 252 in DeutschlandTrend-Umfragen gestellten Sachfragen im Ergebnis zu der Auswertung kamen: Wenn Arme und Reiche Unterschiedliches wollen, folgt die Politik fast ausnahmslos den Reichen.

Bei aller Zensur lässt sich nicht übertünchen, dass die reichsten zehn Prozent der Haushalte mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens besitzen, die untere Hälfte nur ein Prozent. Die reichsten Geschwister unseres Landes, Stefan Quandt und Susanne Klatten, haben im Mai 2016 für das Vorjahr allein 994,7 Millionen Euro an Dividenden aus ihren BMW-Aktien bezogen. Die Bundesregierung versucht umso bemühter, das Problem der Armut im Land zu vertuschen. Seit Oktober vergangenen Jahres zog sich das Gefeilsche um wohlfeile Passagen in der Pflichtveröffentlichung des Armuts- und Reichtumsberichts innerhalb der Koalition hin.

"Wieder wurden schon vor der endgültigen Ressortabstimmung zentrale Aussagen im ersten Entwurf des Berichts gestrichen, den das Arbeits- und Sozialministerium hatte erarbeiten lassen. Schon unter Schwarz-Gelb waren im Spätsommer 2012 nach einer Intervention des FDP-Wirtschaftsministers und Vizekanzlers Philipp Rösler mehrere Passagen des Ursprungsentwurfs getilgt oder abgeschwächt worden: Sie betrafen den ausufernden Niedriglohnsektor, die zunehmende Lohnspreizung und die extreme Schieflage der Verteilung des Privatvermögens. Das trug der Bundesregierung den Vorwurf ein, intern Zensur ausgeübt und den Bericht geschönt zu haben. Doch diesmal waren die Eingriffe noch gravierender. Auf Initiative des Bundeskanzleramts wurden im Ursprungsentwurf des von der Sozialdemokratin Andrea Nahles geführten Arbeits- und Sozialministeriums gleich mehrere Kernpunkte herausgenommen", stellte DIE ZEIT am 12. April 2017 fest.

Obwohl sich die höheren Einkommen stetig aufwärts entwickelten, zeige sich, dass die unteren 40 Prozent der Arbeitenden 2015 real weniger verdienten als Mitte der 90er Jahre, musste im Armuts- und Reichtumsbericht festgestellt werden. Je mehr Menschen mit hohem Einkommen eine politische Meinung vertreten, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit einer Entscheidung in deren Sinne. Bei den unteren Einkommensgruppen verhalte es sich anders. Deren Meinung werde seltener umgesetzt. Ein politisch alarmierender Befund. Aus dem Bericht gestrichen wurde die wohl ehrlichste Aussage über die herrschenden politischen Verhältnisse in Deutschland: "Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn diese Politikveränderung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird“.

Wie funktioniert so etwas? Auf diese Frage liefert www.abgeordnetenwatch.de interessante Antworten: "Innerhalb von nur wenigen Tagen beschloss der Bundestag im Oktober 2008 ein gigantisches Rettungspaket für angeschlagene Banken. Doch der Entwurf für das Bankenrettungs-Gesetz wurde nicht von Beamten des Finanzministeriums geschrieben, sondern von der Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, die eng mit der Finanzindustrie verbunden ist. Das war schon seit längerem bekannt. Neu ist nun, was die Kanzlei für ihre Dienste kassierte. Die Bundesregierung wollte dies lange Zeit geheim halten und musste erst zur Offenlegung gezwungen werden." Diese Honorarrechnung der ominösen privaten Wirtschaftskanzlei von 160.000 Euro wurde unter dem Strich natürlich genauso wie das Milliardenloch der Zockerbanken selbst zu Lasten der staatlichen Sozialleistungen beglichen.

Mit den ständigen Kürzungen in den Sozialleistungen wird außerdem auch noch das Geld eingespart, mit dem sich beispielsweise SPD, CDU, FDP und Grüne in Rheinland-Pfalz jüngst die Abgeordnetendiäten bis 2020 um insgesamt 1000 Euro pro Monat und pro Nase erhöht haben.

Und nicht nur in der Bundeshauptstadt Berlin versuchen rund 6.000 Lobbyisten des Großkapitals und der Banken, politische Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. In anderen Parlamenten läuft das bekanntlich genauso. Über diese Lobbyisten werden den dienstbereiten Abgeordneten in den Parlamenten Vorteile verschafft. Aktuelles Beispiel: Björn Franken (CDU) als NRW-Landtagskandidat arbeitet laut Handelsregister als Prokurist bei einer Zeitabeitsfirma. Er profitiert damit persönlich von der Abschaffung des Tariftreue- und Vergabegesetzes, die von Frankens Partei gefordert wird. Und das ist kein Einzelfall, sondern der Normalfall.

Unter der Überschrift "Dreckige Jeans für mehr als 400 Euro" berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 27.04.2017: "Eine vermeintlich dreckige Jeans soll den Träger als jemanden erscheinen lassen, der 'sich nicht scheut', sich dreckig zu machen. Kritiker bezeichnen die teure Hose als 'Kostüm für wohlhabende Leute, die Arbeit ironisch sehen'. Wer sich nicht schmutzig machen will, aber trotzdem so aussehen möchte, kann für viel Geld eine Jeans der Kaufhaus- und Versandhauskette Nordstrom bestellen. Der Händler hat eine Luxus-Jeans für 425 Dollar im Sortiment, die er jetzt auf seiner Website anbot. Wer sie nach Deutschland bestellen will, zahlt 414 Euro. Die Hose mit dem Namen 'Barracuda Straight Leg Jeans' mit künstlichem Schmuddeleffekt lasse seinen Träger als jemanden erscheinen, der 'sich nicht scheut', sich dreckig zu machen, preist Nordstrom sein Produkt. (…) Wer als ganzer 'Dreckskerl' rüberkommen möchte, kann sich die passende verschmutzte Jeansjacke für weitere 425 Dollar dazu bestellen."