Recht auf selbstbestimmtes Leben!

Veröffentlicht am von Franz Schmahl

Heute am Brandenburger Tor
Heute am Brandenburger Tor
Bild: sch

Berlin (kobinet) An die 1000 Menschen mit Behinderungen haben heute im Berliner Regierungsviertel für ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben inmitten der Gesellschaft demonstriert. Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung war die Parole ihres Protestmarschs vom Bundeskanzleramt zum Brandenburger Tor. Zur Kundgebung auf dem von zahlreichen Touristen gesäumten Pariser Platz hatten mit Ausnahme der Freidemokraten alle Bundestagsfraktionen ihre Abgesandten geschickt.

Auf der Veranstaltung zum Europäischen Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen wurden die Abgeordneten mit Forderungen von Frauen und Männern konfrontiert, die sich keineswegs als die Schwächsten der Gesellschaft betrachten, sondern selbstbewusst auf ihre Rechte pochen.

"Ich habe es satt, immer wieder für meine Rechte kämpfen zu müssen, wo und wie ich  leben soll und nicht durch Assistenz arm gemacht werde", sagte der aus München angereiste Andreas Vega als einer der ersten Redner am Brandenburger Tor. Wie schon in den beiden Vorjahren fuhr er mit seinem Rollstuhl und dem Megaphon an der Spitze des Demonstrationszuges.

In seinem Grußwort für die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland teilte er mit, dass der Entwurf eines Gesetzes zur Sozialen Teilhabe jetzt "den letzten Schliff" erhalten habe. Mit Beifall nahmen die Versammelten die von Vega genannten Kernpunkte des Gesetzentwurfs auf - von bedarfsgerechter Assistenz über ein Budget für Arbeit für eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bis zum Recht auf leichte Sprache.

"Die Berliner Veranstaltung zum Protesttag, eine von bundesweit 550, sei die zentrale und sehr politisch ausgerichtete Aktion", sagte Christina Marx von der Aktion Mensch dem Berliner kobinet-Korresondenten. Die "Inklusions-Direktorin" wies am Stand der Aktion Mensch auf einen Wahlzettel hin, mit dem rund um den 5. Mai deutschlandweit ein Meinungsbild eingeholt werden soll. "Was ist Ihnen am wichtigsten, wenn es um Ihr eigenes, selbstbestimmtes Leben geht", so die Frage auf dem Wahlzettel. Von elf möglichen Antworten können drei angekreuzt werden.  

Lesermeinungen zu “Recht auf selbstbestimmtes Leben!” (5)

Von Gisela Maubach

@ Lina: Die Frage, wer warum „schwach“ ist, beantwortet sich mit der individuellen Behinderung. Menschen mit schwersten kognitiven Einschränkungen, bei denen nicht das geringste Sprachverständnis und keinerlei sinnvolles Handeln festzustellen ist, können ihre eigenen Interessen verständlicherweise nicht selbst vertreten. Wer aber übernimmt ihre Vertretung bei den Themen Inklusion und Selbstbestimmung? Pflegende Angehörige sind in aller Regel neben ihrer eigenen Erwerbstätigkeit bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit belastet. Aktuell liegt ein Aktionsplan der Landesregierung NRW vor:
http://www.mais.nrw.de/08_PDF/003/121115_endfassung_nrw-inklusiv.pdf
Darin steht auf S. 136: „Die Landesregierung wird auch zukünftig . . . die Bereitstellung und Ausstattung von Werkstattarbeitsplätzen fördern, um für voll erwerbsgeminderte Menschen den Rechtsanspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährleisten zu können. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass Nordrhein-Westfalen das einzige Bundesland ist, in dem auch schwerstmehrfachbehinderte Menschen in Werkstätten für behinderte Menschen aufgenommen und gefördert werden.“ Ab Seite 138 ist von „Alternativen“ zur WfbM die Rede – und zwar als Folge des Urteils des Bundessozialgerichts vom November 2011. Ziele des von den beiden Landschaftsverbänden aufgelegten Programms sind die Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt sowie die Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass nur diejenigen eine „Alternative“ zur WfbM haben, die es schaffen, das Persönliche Budget für die Teilhabe am Arbeitsleben zu nutzen. Und diejenigen, die das nicht schaffen, werden damit auch von der Möglichkeit der Selbstbestimmung ausgeschlossen und verbringen ihre Tage weiterhin in 12er- oder 13er-Schwerstbehinderten-Gruppen . . .

Von behindertenrecht

Es scheint bei Betreuten sogar eine Frage des Aufenthaltsbestimmungsrecht zu sein , ob sie zum Protesttag gehen dürfen oder nicht und ob sie selbst wählen dürfen, wer sie begleitet .

Von behindertenrecht

Wie bereits bei anderen Beiträgen , werden auch hier die Menschen vergessen, für die ein Betreuer bestellt ist .
Selbst wenn sich am Wahlrecht etwas ändern würde, würde das lediglich zum Gunsten derjenigen "ausfallen" , für die kein Betreuer bestellt ist .

Betreute bleiben zwar nach Betreuungsrecht beschwerdeberechtigt , aber Anträge für persönliche Assistenz eines Betreuten, werden nur bearbeitet wenn der Betreuer unterschreibt . D.h. Betreute sind vor Gericht beschwerde- und antragsberechtigt ( Beschwerde gegen die Betreuung oder Antrag auf Entlassung des Betreuers ) , aber bei Behörden nicht , weil das beschwerde- und antragsrecht Betreuter im SGB etc.. nicht verankert ist, obwohl es Grundrecht ist .

Von Lina

Es ist richtig - die vielen Menschen, die - aus welchen Gründen auch immer - ihre Interessen nicht selbst vertreten können, bleiben auch bei noch so gut meinenden Veranstaltungen auf der Strecke. Nur - was gibt es für eine Alternative? DIE SCHWACHEN gibt es so pauschal auch nicht - wer ist warum wie sehr "schwach" ?
Es hilft nichts, nur wenn wir alle für ALLE aufstehen, können sich die Lebensverhältnisse für ALLE verbessern.

Von Gisela Maubach

Zitat aus dem Beitrag: "Auf der Veranstaltung zum Europäischen Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen wurden die Abgeordneten mit Forderungen von Frauen und Männern konfrontiert, die sich keineswegs als die Schwächsten der Gesellschaft betrachten," Leider kommen auch in diesem Beitrag - wie immer - diejenigen Menschen nicht vor, die aufgrund des Ausmaßes ihrer Behinderung eben doch zu den Schwächsten der Gesellschaft gehören. Auch der "Wahlzettel" sieht keine Menschen vor, die sich nicht selbst vertreten können, denn dort ist ausschließlich von "ich" die Rede. Auch wenn ich mich immer noch wiederhole: Inklusion wird niemals durch Gleichmacherei erreicht, sondern nur durch Teilhabe ALLER (!), denn die UN-Konvention baut auf Vielfalt auf! Aber leider scheinen bei allen Behinderten-Themen immer wieder dieselben Menschen mit schwersten Behinderungen nicht existent zu sein, da sie keinerlei eigene Interessenvertretung haben. Die pflegenden und betreuenden Angehörigen bewegen sich ohnehin ständig am Rand ihrer Belastungsfähigkeit.