Noch 87 Tage bis zur Bundestagswahl

Veröffentlicht am von Ottmar Miles-Paul

Elwira Szyca
Elwira Szyca
Bild: Elwira Szyca

Düsseldorf (kobinet) Elwira Szyca hält nicht viel von der Briefwahl. Deshalb wird sie auch bei der kommenden Bundestagswahl, die heute in 87 Tagen stattfindet, wohl wieder die Benachteiligung in Kauf nehmen, dass sie vor dem Wahllokal wählen muss.

kobinet-nachrichten: Wenn am 22. September der Deutsche Bundestag gewählt wird, welche Möglichkeit der Wahl nutzen Sie? Rollen Sie ins Wahllokal oder nutzen Sie die Briefwahl?

Elwira Szyca: Ich nahm mir früher immer wieder vor, bei der nächsten Wahl die Briefwahl in Anspruch zu nehmen. Denn immer, egal wo ich hingezogen bin, war ich einem barriereunfreien Gebäude zugeteilt. Und mittlerweile habe ich mit der Situation meinen Frieden gemacht. Schließlich kommen die Wahlhelfer raus. Mein Sohn findet seltsamerweise den Vorgang der Wahl äußerst interessant und es wird zum Familienausflug. Weiter hoffe ich, wenn man nur oft genug vorm Wahllokal steht und nicht reinkommt, dass einem irgendwann ein anderes barrierefreies Wahllokal zugeteilt wird. In diesem Zusammenhang halte ich mittlerweile die Briefwahl für ein falsches Zeichen, frei nach dem Motto Behinderte bleiben zu Hause, sie sieht man nicht auf der Straße und ich halte mich daran.

kobinet-nachrichten: Sie machen derzeit ein Praktikum bei der Rathausfraktion der Grünen in Düsseldorf. Welche Eindrücke haben Sie dort gewonnen?

Elwira Szyca: Mein Praktikum sollte nach Vorgaben der IHK hauptsächlich kaufmännisch belastet sein. In diesem Zusammenhang waren meine Aufgaben unter anderem die Buchhaltung. Natürlich besuchte ich auch Ausschüsse oder die Ratssitzungen. Und trotzdem, bei allen Bemühungen der Grünen, auch im Vorfeld im Streit mit der Stadtverwaltung um einen Raum, glaube ich nicht, dass mein Praktikum mit einem Praktikum in den tatsächlichen Räumen der Ratsfraktion vergleichbar ist. Im Bezug auf meine Behinderung war mein Praktikum nur sekundär erkenntnisreich. Die Phase vor dem Praktikum war lehrreicher. Ich habe sehr viele Bewerbungen geschrieben, bekam aber nur Absagen, wenn überhaupt. Waren immer alle Räume nicht barrierefrei? Der Zeitraum für das Praktikum immer nur zu lang? Ich bekam keine Antwort, in der es hieß, dass man von mir, meiner Behinderung oder meiner Assistentin Angst hätte. Das kann und will ich niemandem unterstellen. Was aber zurückbleibt, ist das Gefühl, keine Chance gehabt zu haben. Die einzige Chance, die ich bekam, war von den Grünen und ich hätte beim Vorstellungsgespräch nicht das erwartet, was darauf folgte. Ich weiß nicht, was die Geschäftsführerin dabei dachte, ob sie das erwartet hat oder es zu meinen Gunsten sogar provozieren wollte. Aber es begann eine bürokratische Odyssee. Es gab einfach keine barrierefreien Räume, auf die man hätte ausweichen können, laut Angaben der Stadt Düsseldorf. Daraufhin folgten Beiträge in den Medien über mich, gut für mein Praktikum, jedoch wenig schmeichelnd für meine Person. Dass ich nur debil gucken kann, wage ich zu bezweifeln. Und trotzdem konnte man von mir keinen anderen Eindruck gewinnen. Dann war ich noch die Elwira. Als erwachsene Frau in einer Zeitung gedutzt zu werden... Soll ich mich freuen, dass es wahrscheinlich einer Heidi Klum auch so geht? Oder kann ich auch hier im Raum stehen lassen, dass ich diskriminiert wurde?

kobinet-nachrichten: Was erhoffen Sie sich persönlich vom neugewählten Deutschen Bundestag. Was müsste sich Ihrer Ansicht nach ändern?

Elwira Szyca: Sicher erwartet man jetzt von mir, dass ich sage, ich bin auf jeden Fall für Rot/Grün, aber im Grunde habe ich eher das Gefühl, dass in den letzten beiden Legislaturperioden sich für Menschen mit einer Behinderung am meisten getan hat. Und das war nicht die Regierung von Rot/Grün. Unabhängig von der Regierung, muss sich die Eingliederung behinderter Menschen in der Gesellschaft durchsetzen. und bei weitem gibt es da noch sehr viel für uns alle zu tun. Solange Behinderte in der Politik ausschließlich in zum Beispiel Behindertenräten sitzen, werden sie auf ihr Behindertsein reduziert. Die Vorstellung, dass sich behinderte Menschen auch für andere Themen interessieren, ist noch nicht angekommen. Leider, trotz aller Bemühungen, kann man als Außenstehender nicht die Bedürfnisse Behinderter erkennen, umso schwieriger gestaltet sich deshalb die Umsetzung. Einzelne Ansätze sind gut, so sind auch die Grünen äußerst bemüht, die Inklusion voranzutreiben. Und das sage ich jetzt nicht nur so, ich war mehr als angenehm überrascht zu sehen, als wie wichtig meine Meinung angesehen wurde, nicht nur in Bezug auf meine Behinderung, sondern auch in kaufmännischen Fragen, in Bezug auf meine Tätigkiet, obwohl ich nur eine Praktikantin war.

kobinet-nachrichten: Sie haben einen Blog gestartet, in dem Sie beschreiben, was Sie denken? Wie sind Sie darauf gekommen und welche Erfahrungen haben Sie bisher damit gemacht?

Elwira Szyca: Es war eigentlich nicht meine Idee diesen Blog zu starten, der Vorschlag kam von der Geschäftsführerin der Ratsfraktion der Grünen. Auch wenn das Konzept, was ich im Endeffekt umgesetzt habe, vielleicht nicht völlig ihren Vorstellungen entspricht. Ich möchte keinen reinen Behindertenblog haben, in dem man meinen könnte, dass ich mir nur leid tue. Meine Idee dahinter ist eher, dass ich meine Erfahrungen in verschiedenen Bereichen wiederspiegele und auch ein Stück von mir darstelle. Damit man wiedererkennen kann, dass mein Leben nicht aus meiner Behinderung besteht. Ich glaube auch nicht, dass ich die einzige bin, der es so ergeht. Daher schreibe ich nicht hauptsächlich für Behinderte. Natürlich sind Menschen mit Behinderung herzlich eingeladen, meinen Blog auch zu lesen, aber im Grunde kennen sie die Problematik und ich kann ihnen auch nichts neues mehr erzählen. Ich würde das gerne mit Millionen auf dem Konto vergleichen, zwar denkt man zwischendurch daran, wie schön es wäre, wenn man sie hätte und wie einfach sich das Leben gestalten würde und so weiter, aber halt nicht die ganze Zeit. Man ist doch hauptsächlich mit der Situation, in der man sich befindet zufrieden und versucht sie weitgehend zu optimieren, noch zufriedener zu sein. Geld ist nicht alles. So glaube ich auch nicht, dass mein Leben nicht lebenswert ist, nur weil ich nicht laufen kann. Da mein Blog noch sehr jung ist, sind die Erfahrungen, die ich damit machen konnte noch eingeschränkt, dennoch sind die ersten Erfahrungen mit meinem Blog durchweg positiv. Ich werde für die Idee gelobt und ich bemühe mich auch ihn sehr lesenswert zu gestalten. Und ich hoffe auch, dass er auf eine große Leserschaft mit und ohne Behinderung trifft, die ihn schätzt, weniger wegen meinem tapferen Umgang mit meinem Schicksal, als meiner Kreativität und meines Schreibstils.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg.