Die Chancen sehen, nicht die Defizite

Veröffentlicht am von Ottmar Miles-Paul

Maria Michalk
Maria Michalk
Bild: CDU/CSU Bundestagsfraktion

Berlin (kobinet) Die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen der CDU/CSU Bundestagsfraktion Maria Michalk plädiert dafür, die Chancen zu sehen, und nicht die Defizite. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul sprach mit Maria Michalk über die Behindertenpolitik der zu Ende gehenden Legislaturperiode, ein Bundesteilhabeleistungsgesetz und über ihre Ziele für die nächste Legislaturperiode.

kobinet-nachrichten: Die nächste Bundestagswahl steht vor der Tür. Wie schätzen Sie als Beauftragte für Menschen mit Behinderungen der CDU/CSU Bundestagsfraktion die zu Ende gehende Legislaturperiode für Menschen mit Behinderungen ein? Welche Erfolge konnten Sie erzielen?

Maria Michalk: Wir haben uns in allen Ausschüssen mit dem Thema Menschen mit Behinderung und der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention befasst und gehandelt. Insbesondere sind wir auf die Bereiche Arbeitsmarkt, Barrierefreiheit und Eingliederung in die Gesellschaft eingegangen. Die "Initiative Inklusion" ist 2012 angelaufen und hat erste Teilerfolge mit der Beratung und Begleitung von jungen Menschen mit Behinderung von der Schule bis in den Betrieb hinein erzielt. Auch im Bereich Gesundheit haben wir Verbesserungen erzielt, so zum Beispiel in der Heilmittelrichtlinie, im GKV-Versorgungsstrukturgesetz, im Pflegeneuordnungsgesetz oder durch das Assistenzpflegegesetz. Damit sind unter anderem dauerhafte Heilbehandlungen, eine bessere ambulante Pflege sowie ambulante Zahnarztbehandlungen auf den Weg gebracht worden. Und wer im Arbeitgebermodell Pflegekräfte als Assistenz beschäftigt, kann sie nun auch in stationären Vorsorge- und Reha-Einrichtungen mitnehmen. Für eine bessere Mobilität haben wir durchgesetzt, den ÖPNV bis 2020 barrierefrei auszugestalten. Fernbusse müssen ab 2016 auch Plätze für Rollstuhlfahrer bereit halten. Auch die kulturelle Teilhabe wird verbessert, denn Filme werden nur noch dann staatlich gefördert, wenn an Untertitel und Audiodeskription gedacht wird. Wir haben jetzt eine Telefon-Hotline für Frauen in Not, die barrierefrei ist. Außerdem ist eine barrierefreie Kommunikation mit der Verwaltung möglich. Künftig können mobilitätseingeschränkte Menschen von ihrem PC zu Hause mit Behörden kommunizieren. Als Leitfaden diente uns dabei der sehr breit diskutierte und für alle Ressorts aufgestellte Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.

kobinet-nachrichten: Was in dieser Legislaturperiode nicht geschafft wurde, ist die Reform der Eingliederungshilfe bzw. das nun diskutierte Bundesteilhabeleistungsgesetz? Wie schätzen Sie die Chancen für die Gesetzesreform in der nächsten Legislaturperiode ein?

Maria Michalk: Der Bund hat sich grundsätzlich für eine Verbesserung der Eingliederungshilfe stark gemacht. Dabei haben wir immer wieder die verschiedenen Schnittstellenprobleme angesprochen und angemahnt, hier im Sinne der Betroffenen zu handeln. Es ist nicht akzeptabel, dass trotz der guten Regelungen im SGB IX das Persönliche Budget so selten bewilligt wird. Ich denke, in der kommenden Legislaturperiode wird die Eingliederungshilfereform ein Schwerpunkt sein.

kobinet-nachrichten: Das Forum behinderter Juristinnen und Juristen hat mit einem Entwurf für ein Gesetz zur Sozialen Teilhabe in Ergänzung zu den vielen Eckpunkten und Forderungskatalogen der verschiedenen Akteure nun konkrete Formulierungen vorgelegt. Wie beurteilen Sie diese Vorlage und sehen Sie Chancen, dass davon einiges ins Gesetzgebungsverfahren einfließt?

Maria Michalk: Wir begrüßen es immer, wenn wir aus der Mitte der Gesellschaft konkrete Vorschläge für unser politisches Handeln erhalten. Insofern werden wir uns intensiv mit dem Vorschlag des Forum behinderter Juristinnen und Juristen für ein Gesetz zur Sozialen Teilhabe auseinandersetzen. Am Ende wird er einer der Bausteine auf dem Weg hin zur Einigung sein.

kobinet-nachrichten: Von behinderten Menschen und ihren Verbänden kommt häufig der Vorwurf, dass behinderte Menschen selbst bisher in den Prozess zur Reform der Eingliederungshilfe viel zu wenig einbezogen wurden. Sehen Sie Chancen, dass sich dies in der konkreten Entwicklung des Bundesteilhabeleistungsgesetzes ändert?

Maria Michalk: Ich habe nicht das Gefühl, dass in der nun auslaufenden Wahlperiode Menschen mit Behinderungen und ihre Interessenverbände von den politischen Diskussionen ausgeschlossen wurden. Ganz im Gegenteil. Bei der Erstellung des Nationalen Aktionsplans und des neuen Teilhabeberichts wurde konsequent mit Expertinnen und Experten in eigener Sache zusammengearbeitet. Sie sehen es auch daran, dass erstmals eine große Veranstaltung mit Menschen mit Behinderungen im Deutschen Bundestag stattfand. Die im Oktober 2012 erarbeiteten Vorschläge werden als Auftrag für die nächste Wahlperiode übergeben. Wir Abgeordnete sind immer gut beraten, uns auf die Vorschläge aus der Mitte der Gesellschaft einzulassen. Aber am Ende müssen wir selbst entscheiden. Deshalb halte ich die Transparenz in diesem Prozess für wichtig.

kobinet-nachrichten: Welche Ziele haben Sie sich persönlich für die Zukunft in Sachen Behindertenpolitik gesetzt?

Maria Michalk: Ich werbe dafür, dass insgesamt der Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen viel stärker sensibilisiert wird, weil ich möchte, dass die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt steigt. Viel intensiver als bisher muss im Rahmen des Berufseinstiegs auf die individuellen Fähigkeiten eingegangen werden. "Die Chancen sehen, nicht die Defizite" - das ist mein Motto. Und das gilt für alle Lebensbereiche.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.

Lesermeinungen zu “Die Chancen sehen, nicht die Defizite” (2)

Von Gisela Maubach

Zitat aus dem Beitrag:
"Begleitung von jungen Menschen mit Behinderung von der Schule bis in den Betrieb hinein" . . .

Ganz offensichtlich ist es auch deshalb nicht gewollt, Defizite zu sehen, weil es Menschen gibt, deren Defizite es eben unmöglich machen, in einem Betrieb zu arbeiten.
Leider wird immer noch nicht thematisiert, ob weiterhin keinerlei Beschränkung von Gruppengrößen angestrebt wird, in denen schwerstbehinderte Menschen mit ausgeprägten Defiziten unter sich bleiben müssen - ohne die Alternative des Persönlichen Budgets für diese seltsame Form der "Eingliederungshilfe" in Anspruch nehmen zu können.

Ohne die Defizite dieser Menschen zu sehen, erscheint ihre Ausgrenzung auch weiterhin auf keinen Tagesordnungen . . .
. . . aber solange dieses "in-Riesen-Gruppen-unter-sich-sein" nicht thematisiert wird, wird auch niemals wirkliche Inklusion erreicht!!!

Von G. Niedermeier

Wer sich den Defiziten verschließt, hat keine Anhaltspunkte die erkennen lassen wo es Chancen zu nachhaltigen Verbesserungen gibt.