Vorschlag für Koalitionsverhandlung zum Bundesteilhabegesetz

Veröffentlicht am von Christian Mayer

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Berlin (kobinet) Der neue Deutsche Bundestag hat sich gestern konstituiert, so dass die Arbeit im Parlament nach den Bundestagswahlen wieder so richtig losgehen kann. Heute wird es bereits ernst, denn CDU/CSU und SPD beginnen heute ihre Koalitionsverhandlungen. Die Initiatoren der Kampagne für gesetzliche Regelungen zur sozialen Teilhabe hat hierfür einen Vorschlag für eine Formulierung zum Bundesteilhabegesetz gemacht.

"In Zusammenarbeit mit den Ländern soll zu Beginn der Legislaturperiode ein Bundesteilhabegesetz außerhalb der Sozialhilfe verabschiedet werden, das sich an der UN-Behindertenrechtskonvention orientiert. Dabei sollen die Hilfen für behinderte Menschen einkommens- und vermögensunabhängig sowie bedarfsdeckend gestaltet, ein Bundesteilhabegeld eingeführt und Expertinnen und Experten behinderter Menschen und ihrer Verbände intensiv und frühzeitig am Gesetzgebungsprozess beteiligt werden." So lautet der Vorschlag, den die Verbände den VertreterInnen der CDU/CSU und der SPD gemacht haben. Nachdem der Parteikonvent der SPD bereits das Bundesteilhabegesetz als einen wichtigen Punkt für ihre Verhandlungen benannt hat, hoffen die Verbände, dass im Koalitionsvertrag eine entsprechende Formulierung aufgenommen wird.

"Dabei darf es aber nicht nur um die Entlastung der Kommunen gehen, sondern müssen auch qualitative Verbesserungen für die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen mitten in der Gesellschaft und im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention heraus kommen. Alles andere wäre schlichtweg nicht akzeptabel", erklärte Ottmar Miles-Paul, Koordinator der Kampagne für gesetzliche Regelungen zur sozialen Teilhabe. "Vor allem hoffen wir, dass sich die zukünftige Bundesregierung und die Landesregierungen bei der Entwicklung eines Bundesteilhabegesetzes auf die Vorschläge des Forums behinderter Juristinnen und Juristen stützt, das im Mai einen Gesetzentwurf zur sozialen Teilhabe vorgelegt hat."

Link zur Kampagne für gesetzliche Regelungen zur sozialen Teilhabe

Das Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen (ForseA) hat sich ebenfalls mit einem offenen Brief an die im Bundestag vertretenen Parteien gewandt, um auf die Situation in Sachen Persönlicher Assistenz hinzuweisen.

Link zum offenen Brief von ForseA

Lesermeinungen zu “Vorschlag für Koalitionsverhandlung zum Bundesteilhabegesetz” (3)

Von Gerhard Lichtenauer

Ich schließe mich den beharrlich einmahnend kritischen Anfragen von Gisela Maubach und Inge Rosenberger an.

Diese vehemente Ignoranz gegenüber Interessen und Rechten schwerst- und mehrfachbehinderter Menschen mit hohem Betreuungs- und Pflegebedarf entpuppt sich immer mehr als politischer Böswille. Das kann doch nicht bloß Versehen, Unwissenheit oder Unfähigkeit sein.
Das scheint sozialeugenisch-ökonomistisch motiviertes Kalkül tonangebend zu sein: Die leistungsfähigeren "guten Behinderten" werden besser gefördert, die "schlechten Behinderten" werden vernachlässigt und weiterhin in Verwahrungsstätten ausgesondert.
Dieser Inklusionsschwindel führt zu noch krasseren Exklusionen als bisher.

Von Inge Rosenberger

Bei den bisherigen Veröffentlichungen der Entscheidungsträger bleiben Menschen, die weder eine wirtschaftlich verwertbare Leistung erbringen und auch nicht für sich selbst sprechen können, tatsächlich ohne jede Erwähnung.
Ist dies vielleicht ein Hinweis darauf, dass das künftige Risiko für diese Menschen vielleicht gar nicht mehr in der Verschiebung vom SGB XII ins SGB II liegt, sondern in der direkten Verschiebung ins SGB XI - Pflege?
Liebe Mitmenschen mit und ohne Behinderung, wo bleibt bei dieser Ignoranz und dieser Diskriminierung Euer empörter und vielfacher Aufschrei?

Von Gisela Maubach

Zum Gesetzentwurf zur sozialen Teilhabe habe ich folgende Fragen:
Im SGB II soll die Definition der Erwerbsfähigkeit dahingehend geändert werden, dass behinderte Menschen, die wegen ihrer Beeinträchtigung nur unter nicht(!)üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein können, erwerbsfähigen Menschen gleichgestellt sind.
Es ist zu befürchten, dass eine derartige Definition zu einer weiteren Verschiebung vom SGB XII in's SGB II führt, was für viele Familien bedeuten würde, dass ihre schwerstbehinderten erwachsenen Kinder deshalb keine Leistungen erhalten, weil im SGB II bis zum Alter von 25 Jahren die Bedarfsgemeinschaft mit den Eltern vorausgesetzt wird.

Welche Abgrenzung sieht der Gesetzentwurf zwischen ALG II und SGB-XII-Grundsicherung vor, um die bereits jetzt schon praktizierte Verschiebepraxis (mit dem Ziel der Leistungsverweigerung) zu verhindern?

Das Persönliche Budget soll für voll erwerbsgeminderte Menschen als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und begleitende Hilfen im Arbeitsleben als Budget für Arbeit ausgeführt werden.

Wie bereits wiederholt beschrieben, werden in NRW Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auch für diejenigen Menschen über Eingliederungshilfe finanziert, die keinerlei wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung erbringen können und die in den Werkstätten in sogenannten heilpädagogischen Gruppen zusammengefasst werden.
Obwohl die momentanen Leistungen für diese Menschen "Teilhabe am Arbeitsleben" heißen, ist die Möglichkeit des Persönlichen Budgets für Arbeit für sie ausgeschlossen, weil sie in der Realität eben nicht arbeiten können, sondern betreut und gepflegt werden müssen.

Aus dem Gesetzentwurf kann ich leider nicht erkennen, auf welche Weise zukünftig eine selbstbestimmte Tagesstruktur für Menschen ermöglicht werden soll, die trotz Unterstützung keinerlei Arbeit erbringen können, aber die umfangreiche Betreuung benötigen.

Habe ich da etwas übersehen, oder soll es für diese Menschen weiterhin keine Alternative zu großen Schwerstbehinderten-Gruppen geben?