Behindertenbeauftragte fordern bessere Teilhabemöglichkeiten

Veröffentlicht am von Ottmar Miles-Paul

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Frankfurt (kobinet) Die Behindertenbeauftragten des Bundes und der Länder appellierten bei ihrem 46. Bundestreffen am 29./30. Oktober in Frankfurt an die Verhandlungspartner in den Koalitions-Arbeitsgruppen von CDU, CSU und SPD der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention weitere Impulse zu geben.

Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe erklärte dazu: "Die Verhandlungen über die politischen Ziele und Vorhaben der Großen Koalition sind eine große Chance, Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen echte Teilhabe zu ermöglichen." Die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern fassten ihre Forderungen in der folgendenFrankfurter Erklärung zusammen:

Frankfurter Erklärung – Appell an eine zukünftige Bundesregierung

Eine mögliche Große Koalition kann mit einer breiten Mehrheit im Bundestag der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention weitere Impulse geben! Das erwarten Menschen mit Behinderungen in Deutschland.

Als Behindertenbeauftragte von Bund und Ländern appellieren wir an die verhandelnden Delegationsmitglieder, das Menschenrecht auf gleichberechtigte und diskriminierungsfreie gesellschaftliche Mitentscheidung und Teilhabe endlich umzusetzen. Für uns stehen inhaltliche Fortschritte und nicht finanzielle Umverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen im Vordergrund:

Die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe zu einem Teilhabeleistungsgesetz außerhalb der Sozialhilfe und vorrangig im SGB IX. Der UN-Behindertenrechtskonvention folgend, muss die Anrechnung von Einkommen und Vermögen fallen, um Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen zu beenden.

Menschen mit Behinderungen sollen nicht mehr von Amt zu Amt rennen müssen! Der erstangegangene Leistungsträger muss in die Lage versetzt werden, Hilfen aus einer Hand zu gewährleisten.

Unterstützung der Länder und Kommunen bei der Schaffung eines inklusiven Bildungssystems, besonders in Kita und Schule.

Wir fordern mehr Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen am ersten Arbeitsmarkt. Alternativen zur Werkstatt für behinderte Menschen müssen gestärkt und ausgebaut werden. Hier ist das Budget für Arbeit ein geeignetes Instrument, auch für Qualifizierung und Ausbildung.

Wir fordern einen inklusiven Sozialraum. Dazu brauchen wir Regelungen, die Barrierefreiheit von Gebäuden, Infrastruktur und Dienstleistungen sowie bei der Kommunikation und Information herstellen. Förderprogramme, z.B. der KfW Bank, sind danach auszurichten. Das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sind entsprechend zu ändern.

Gesundheit und Pflege müssen inklusiv ausgerichtet werden. Teilhabe und Rehabilitation sind im Gesundheitssystem in den Vordergrund zu stellen. Aus- und Fortbildung sind auf die Bedarfe von Menschen mit Behinderungen auszurichten. Die Politik für Menschen mit Behinderungen ist unter intensiver Einbeziehung und Mitwirkung der Menschen mit Behinderungen zu gestalten.

Lesermeinungen zu “Behindertenbeauftragte fordern bessere Teilhabemöglichkeiten” (7)

Von behindertenrecht

Zitat

In allen Lebensbereichen echte Teilhabe ermöglich

Zitat Ende


Jeder Arbeitssuchende, ob behindert oder nichtbehindert, sollte das Recht haben, sich arbeitssuchend zu melden, damit er auch eine echte Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt hat , beginnend mit der Ausbildungssuche .
Denn wer erstmal ausgegrenzt ist und in Sondereinrichtungen arbeitet oder wohnt, für den wird Inklusion doppelt erschwert, weil damit der Kontakt zu Nichtbehinderten nicht gegeben ist und behinderte Menschen weiterhin unter sich bleiben .
Auch Nichtarbeitsfähige Menschen haben Recht auf persönliche Assistenz, um in allen Lebensbereichen echte Teilhabe zu ermöglichen . Diese "Hilfsmittel" müssen für jeden Menschen garntiert sein .

Von Inge Rosenberger

Obwohl die Rechte von Menschen mit Behinderung in den letzten Jahren gestärkt wurden, fehlen nach wie vor geeignete Angebote - besonders für Menschen, die keine wirtschaftlich verwertbare Leistung erbringen können und sich nicht selbst vertreten können.
Während die Teilhabe von Menschen mit geringerem Hilfebedarf größtenteils positiv weiterentwickelt wird, bleiben die Rechte von Menschen mit hohem Hilfe- und Betreuungsbedarf dagegen ganz oft auf der Strecke.
Teilweise missverständliche oder unpassende Formulierungen werden durch ökonomisch fixierte Schreibtischtäter bewusst falsch und negativ interpretiert, sodass die Betroffenen enorm viel Zeit und Kraft aufbringen müssen, um das Recht auf Teilhabe überhaupt erst deutlich zu machen, dann noch einzufordern und durchzusetzen.
Wichtig wäre deshalb m. E., dass Menschen, die keine wirtschaftlich verwertbare Leistung erbringen können und sich nicht selbst vertreten können, bei den aktuellen Plänen und Aktionen unmissverständlich genannt und deren Vertreter auch einbezogen werden. Sie brauchen ein eindeutig formuliertes Anrecht auf eine Wahlfreiheit in ihren Teilhabemöglichkeiten.
Denn so lange es die Gesetzgebung zulässt, dass z. B. Menschen beim Wohnen nach der wirtschaftlichen Verwertbarkeit ihrer Leistungen sortiert werden, oder dass Menschen als "Mitarbeiter" bezeichnet werden, aber völlig respektlos in großen Gruppen unterversorgt werden, wird es keine Inklusion geben.


Von Gerhard Lichtenauer

Ich unterstütze als Vertreter einer schwerstmehrfachbehinderten Person, die sich selbst nie vertreten könnte, untenstehend formulierte Anliegen für Schwerstbehinderte, wie sie von Inge Rosenberger und Gisela Maubach immer wieder reklamiert werden aber bisher offensichtlich nur auf taube Ohren stießen.
Danke Uwe Heineker für deine Unterstützung.

Inklusion gibt es nur im Ganzen. Inklusion ist unteilbar, es darf keinen Rest geben. Eine halbe Inklusion ist völlig daneben!

Von Gisela Maubach

Ich schließe mich den vorangegangenen Leserbriefen an und möchte noch zu bedenken geben, dass es nicht einfach nur mit einer Formulierungsänderung getan ist, indem man die Teilhabemöglichkeit für ALLE behinderten Menschen außerhalb von Werkstätten fordert.

Wenn bisher als einziger Ausweg aus der Werkstatt das Budget für Arbeit als "geeignetes Instrument" zur Verfügung steht, müsste natürlich für arbeitsUNfähige Menschen erstmal ein Instrument geschaffen werden, welches eine Tagesstruktur ermöglicht, bei der NICHT eine zweistellige Anzahl von schwerstbehinderten Menschen tagsüber unter sich bleiben muss.

Auch mein besonderer Dank gilt Uwe Heineker, der sich ohne eigene Betroffenheit ständig unterstützend für unsere schwerstbehinderten Söhne und Töchter zu Wort meldet!

Von Inge Rosenberger

Ist es denn bei so vielen die vorherrschende Meinung, dass leistungsunfähige Menschen mit einer allenfalls rudimentären Grundversorgung – wie sie hier schon oft genug beschrieben wurde - „unter sich“ am besten aufgehoben sind?
Als Mutter einer Tochter mit hohem Hilfebedarf packen mich immer wieder Wut und Verzweiflung angesichts der Entwicklungen, vor denen kluge und weitsichtige Menschen seit Jahren warnen. Seit langem gibt es schöne Sonntagsreden von Politikern zur Inklusion und zur UN-Konvention, und es gibt zustimmendes Kopfnicken, wenn Prof. Klaus Dörner dazu aufruft, dass Inklusion „vom Letzten her“ (bei den Schwächsten) beginnen muss. Aber es gibt nach wie vor keine Inklusionsbemühungen für Alle. Der schwächste Teil der betroffenen Menschen wird weiterhin ignoriert und behindert!
Dadurch entsteht ein „Zwei-Klassen-System“, und die Gefahr der Ausgrenzung in homogenen „Rest-Einrichtungen“ steigt rapide an. Ein möglichst normaler Lebensablauf, den gleichaltrige Menschen zu Recht für sich in Anspruch nehmen, ist für Menschen mit schwersten Behinderungen auf diese Weise niemals möglich.
Wir Eltern wollen doch „nur“ erreichen, dass es für unsere Töchter und Söhne ein fest verankertes Anrecht auf individuelle und bedarfsgerechte Wohn- und Beschäftigungsangebote gibt.
Unsere Töchter und Söhne brauchen Gemeinschaft, sie sind auf die Akzeptanz und Unterstützung von allen Beteiligten angewiesen! Dafür schon mal ein Danke an Uwe Heineker!


Von Dagmar B

Zitat:
Die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe zu einem Teilhabeleistungsgesetz außerhalb der Sozialhilfe und vorrangig im SGB IX. Der UN-Behindertenrechtskonvention folgend, muss die Anrechnung von Einkommen und Vermögen fallen, um Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen zu beenden.


Es wäre in der Tat ganz einfach,den Satz dahingehend zu ergänzen,das auch für pflegende Angehörige die Benachteiligungen beendet werden.


Zitat:

Wir fordern mehr Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen am ersten Arbeitsmarkt. Alternativen zur Werkstatt für behinderte Menschen müssen gestärkt und ausgebaut werden. Hier ist das Budget für Arbeit ein geeignetes Instrument, auch für Qualifizierung und Ausbildung


Auch hier könnte inklusiv formuliert werden,in dem flächendeckend Teilhabemöglichkeiten für ALLE behinderten Menschen ausserhalb von Werkstätten gefordert werden,

Wenn es um Inhalte geht,sollten doch auch wirklich inklusive Inhalte gefordert werden,und nicht für die Menschen,die auf viel Betreuung angewiesen sind,und die bereits jetzt schon in den Werkstätten ausgelagert werden,der Zustand durch dauerhaftes Totschweigen zementiert werden.

Von Uwe Heineker

Leider vermisse ich in den Forderungen der Behindertenbeauftragten die Belange des Personenkreises schwerstmehrfachbehinderter Menschen, die nicht arbeitsfähig sind und ihre Interessen nicht selbst vertreten können.

Auch dieser Personenkreis hat ein Recht auf Inklusion, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention vorgibt.

Warum verdammt noch mal wird dieser Personenkreis in allen Inklusions-Diskussionen bislang totgeschwiegen, obwohl auf deren Situation (von deren Angehörigen) immer wieder hingewiesen wird und daher eigentlich bekannt sein dürfte und wo bleibt die Solidarität der anderen Behindertenverbände, die ich bislang nicht wahrgenommen habe ... !?