Mehr Möglichkeiten zur Gleichstellung

Veröffentlicht am von Franz Schmahl

Dr. Babette Tondorf
Dr. Babette Tondorf
Bild: Kanzlei Menschen und Rechte

Hamburg (kobinet) Menschen mit Behinderung, die nicht schwerbehindert sind, können von vielen wichtigen arbeits-, sozial- und beamtenrechtlichen Regelungen nur profitieren, wenn sie Schwerbehinderten gleichgestellt werden. Das hat das Landessozialgericht Hamburg jetzt erleichtert. In einem von der Kanzlei Menschen und Rechte geführten Verfahren hat das Gericht den Anspruch behinderter Menschen auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 SGB IX erheblich erweitert. Dieser Entscheidung zufolge kann der Anspruch auf Gleichstellung entgegen der bisher herrschenden Auffassung auch dann bestehen, wenn eine konkrete Gefährdung des Arbeitsplatzes nicht vorliegt. Damit werden die Chancen von Menschen mit Behinderung verbessert, die die Gleichstellung benötigen, damit sie ihr berufliches Fortkommen sichern oder sich neue berufliche Möglichkeiten erschließen können. Rechtsanwältin Dr. Babette Tondorf  begrüßte das Urteil, mit dem eine antiquierte Rechtsauffassung revidiert werde.

Geklagt auf Gleichstellung hatte eine Justizfachangestellte im mittleren Dienst mit einem GdB von 30. Ihr Anstellungsverhältnis war in seinem Bestand nicht gefährdet. Die Klägerin wollte sich beruflich weiterentwickeln und hatte sich für einen Ausbildungsgang im gehobenen Dienst beworben, der aber nur von Menschen im Beamtenverhältnis absolviert werden kann. Trotz erfolgreicher Bewerbung scheiterte die Aufnahme in den Ausbildungsgang daran, dass ihr die gesundheitliche Eignung von der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) aufgrund ihrer chronischen Erkrankung abgesprochen wurde.

Bei der Beurteilung der gesundheitlichen Eignung legte die FHH den selben strengen Prognosemaßstab zugrunde, der für nicht behinderte Beamtenanwärter gilt. Der herabgesenkte Prognosemaßstab, der für Schwerbehinderte und Gleichgestellte gelte, könne trotz ihrer Behinderung auf die Klägerin nicht angewendet werden, weil sie nur einen GdB von 30 habe. Die Bundesagentur für Arbeit verweigerte der Klägerin die Gleichstellung, die ihr im Ergebnis - aufgrund des dann beamtenrechtlich zugrunde zu legenden milderen Maßstabs bei der gesundheitlichen Eignungsprüfung - den Zugang zur Beamtenlaufbahn eröffnen würde. Die Bundesagentur für Arbeit begründete das damit, dass nur derjenige gleichgestellt werden könne, dessen aktueller Arbeitsplatz konkret gefährdet sei.

Das Sozialgericht Hamburg hatte diese Rechtsauffassung mit Urteil vom 10.9.2012 (S 47 AL 110/11) erstinstanzlich bestätigt. Das Landessozialgericht hat der Klage in der Berufungsinstanz stattgegegeben und die Bundesagentur für Arbeit verpflichtet, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen. Vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention, des europäischen Antidiskriminierungsrechts sowie der grundgesetzlich geschützten Berufswahlfreiheit bedürfe § 2 Abs. 3 SGB IX einer neuen Auslegung.

In die Tatbestandsalternative "zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes" dürfe das Erfordernis einer konkreten Arbeitsplatzgefährdung nicht zwingend hineingelesen werden. Vom Schutzzweck der Norm seien auch Fälle umfasst, in welchen die Gleichstellung behinderten Menschen Laufbahnmöglichkeiten eröffne, die ihnen ohne die privilegierende Wirkung einer Gleichstellung verwehrt wären. Die Revision an das Bundessozialgericht wurde zugelassen.

Rechtsanwältin Dr. Babette Tondorf, Kanzlei Menschen und Rechte, begrüßte das Urteil: "Mit dieser Entscheidung wird eine antiqierte Rechtsauffassung revidiert. Damit ist ein Urteil erstritten, welches die große Bedeutung der UN-Behindertenrechtskonvention für die Auslegung des bundesdeutschen Rechts anerkennt und die Rechte von Menschen mit Behinderung im Bereich von Arbeit und Behinderung deutlich stärkt."

LSG Hamburg, Urteil vom 30.10.2013, L 2 AL 66/12, die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig