Wer läutet?
Veröffentlicht am von Harald Reutershahn

Bild: hjr
Frankfurt am Main (kobinet) "Glockenschall, Glockenschwall supra urbem, über der ganzen Stadt, in ihren von Klang überfüllten Lüften! Glocken, Glocken, sie schwingen und schaukeln, wogen und wiegen ausholend an ihren Balken, in ihren Stühlen, hundertstimmig, in babylonischem Durcheinander. Schwer und geschwind, brummend und bimmelnd, - da ist nicht Zeitmaß noch Einklang, sie reden auf einmal und alle einander ins Wort auch sich selber: an dröhnen die Klöppel und lassen nicht Zeit dem erregten Metall, daß es ausdröhne, da dröhnen sie pendelnd an am anderen Rande, ins eigene Gedröhn, also daß, wenn's noch hallt 'In te Domine speravi' [Ich setze mein Vertrauen in dich, Herr], so hallt es auch schon 'Beati, quorum tecta sunt peccata' [Selig sind die, deren Sünden bedeckt sind], hinein aber klingelt es hell von kleineren Stätten, als rühre der Meßbub das Wandlungsglöcklein." (Thomas Mann, Der Erwählte)
Die Glocken läuten. Wählen gehen! Tagtäglich wird man in diesen Wochen ermahnt. Als würde jemand, der sich entschlossen hat, nicht zur Wahl zu gehen, sich ausgerechnet davon umstimmen ließe. Bei einer Wahl geht es um Stimmen. Genau genommen geht es um's Kreuzchenmachen, wofür kein Mensch seine Stimme braucht wie beim Singen oder Sprechen. Eher scheint es so eine Art heilige Liturgie zu sein, vor der man sich zu bekreuzigen hat. Dann wird wie bei den Katholiken der goldene Kelch, aus dem eh nur die Priester süffeln dürfen, in den Tabernakel eingeschlossen, für die Gemeinde ist bekanntlich erst mal wieder Amen, Schluss und aus. Denn danach wie davor werden wir alle nicht gefragt, was wir denn wollen, weil das wie an jedem Wahlsonntag die Wahlsieger für uns entscheiden. Und Wahlsieger sind bekanntlich vor den Fernsehkameras alle Fernsehkameraden. Bimbam, bimbam, ausgebimmelt. Montags ist wieder Ruhe in der Gemarkung.
Damit es so kommt, wie es an jedem Wahlsonntagabend kommt, werden wieder auf Teufel komm raus die Straßenlaternen mit den üblichen Propagandaplakaten verziert, die dazu einladen, ungeniert bekritzelt und phantasievoll kommentiert zu werden. Aus den Verblödungsparolen und den peinlich aufgeschminkten Dresscodevisagen kreative Volkskunst zu machen, das ist demokratischer Wahlkampf durch die Wähler. Strafrechtlich ist es allerdings Sachbeschädigung. Das Vorgaukeln falscher Tatsachen und die an Betrug grenzende vorsätzliche Irreführung durch die professionellen politischen Sprücheklopper leider nicht. Demokratie muss teuer bezahlt werden. Nicht von denen, die regieren, sondern von denen, die regiert werden.
"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht aus Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. 'Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!' ist also der Wahlspruch der Aufklärung." Das schrieb 1784 Immanuel Kant, der Philosoph der Aufklärung. Er verstand Aufklärung als die Aufweckung des eignen Denkens. Deshalb können politische Propagandaparolen nur dadurch aufgeklärt werden und aufklärend wirken, dass wir sie gründlich und kritisch durchdenken und den Kern vom Geschwafel trennen.
Die Frage also ist zu beantworten: Warum soll man wählen? Weil Entscheidungen zur Wahl stehen, die getroffen werden müssen. Wollen wir noch länger andauernde Kriegseinsätze? Wollen wir endlich bessere Schulen für alle? Wollen wir für die Zockerei und die Spekulationen der Banker weiter zahlen oder soll damit Schuss sein? Sollen die Profite weiter wachsen oder wollen wir anständige Löhne und Renten? Wollen wir uns als Behinderte weiter behindern lassen oder wollen wir uns keine Einschränkungen durch Barrieren mehr gefallen lassen? Wollen wir uns länger die Nasen plattdrücken vor exklusiven Schaufensterauslagen oder wollen wir ein inklusives Leben überall im Land für uns und für jeden? Wollen wir selbstbestimmt leben oder wollen wir uns weiter von Sozialämtern an die Leine nehmen lassen? Mietpreise, Strompreise, Gebührenerhöhungen, Beitragserhöhungen, Leistungskürzungen … Jeder weiß, was alles zur Wahl steht. Wählt!
Wenn Du nicht wählst, dann wählen nur die anderen. Und die anderen wählen nicht für Dich. Manche glauben, sie würden zu den Gewinnern gehören, wenn sie die Gewinner wählen. Wer das glaubt, der ist den Fliegenfängern auf den Leim gegangen. Wer gewinnen will, der muss die Auswahl treffen, die ihm zur Wahl steht.
Nach der Wahl sei alles offen. Bei einem knappen Wahlausgang sei fast jede Koalition denkbar, so der Leiter des ARD-Hauptstadtstudios Ulrich Deppendorf. Selbst Schwarz-Grün. Ich wünschte, Deutschland wäre kein Deppendorf.
Kümmere Dich nicht um das Geläut der Glöckner mit den Kirchturmglocken von hoch da droben. Lass es klingeln mit Deinem kleinen Glöckchen von unten mit all den Millionen, die auch unten stehen. Dann kann das mitunter ein munteres Glockenspiel werden.
Von Joachim Flach
Ich kann Frau Rosenberger nur zustimmen. Wir haben eine Regierung die wir bereits kennen. Diese Regierung hat die UN-BRK ratifiziert. Diese Regierung sorgt aber nicht dafür, dass diese UN-BRK auch umgesetzt wird! Noch immer werden Behinderte gezwungen für ihre Belange gegen Behördenwillkür zu kämpfen. Rechte, die in der UN-BRK bereits verbrieft sind werden den Bedürftigen amtlicherseits, oft mit fadenscheinigen Argumenten vorenthalten.
Wir, meine Frau und ich, sind beide 100% schwerbehindert und Rentner. Wir haben einn Antrag auf Finanzierung eines behindertengerecht ausgestatten Kfz. gestellt. Ein "netter" Beamter des hessischen Sozialministeriums schrieb uns:
„Zu berücksichtigen ist dabei, dass mit der Eingliederungshilfe dem behinderten Menschen zwar die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht werden soll, die Hilfe aber den Empfänger vom Leistungs- und Förderungsumfang nicht besser stellen darf als einen nicht behinderten sozialhilfebedürftigen Menschen.“
Meines Wissens geht es bei unseren Behinderungen nicht Besserstellung, sondern viel mehr um Nachteilsausgleich.
Diesen Nachteilsausgleich versucht uns das CDU-regierte hessische Sozialministerium vorzuenthalten.
Von Inge Rosenberger
"[...] Die Stimmen, die nicht abgegeben werden, verschwinden ja nicht wirklich, sondern werden proportional den übrigen Parteien zugesprochen. Und wer profitiert davon am meisten? Die Union. Und wer könnte dadurch ganz knapp über die 5-Prozent-Hürde gehievt werden? Raten Sie! [...]"
Quelle und kompletter Text: http://hinter-den-schlagzeilen.de/2013/08/30/wer-gar-nicht-wahlt-wahlt-trotzdem-mit/