Noch 7 Tage bis zur Bundestagswahl

Veröffentlicht am von Ottmar Miles-Paul

Ottmar Miles-Paul und Wilhelm Gerike
Ottmar Miles-Paul und Wilhelm Gerike
Bild: Claudia Gerike

Marburg (kobinet) Während heute bereits in Bayern die Landtagswahl stattfindet, wird Wilhelm Gerike, der beim Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS) in Marburg arbeitet, am kommenden Sonntag gleich drei mal mit Wahlschablonen für blinde Menschen wählen können. Für den Inhaber einer Heiratsurkunde in Blindenschrift ist es für ihn selbstverständlich am kommenden Sonntag ins Wahllokal zum Wählen gehen. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul sprach mit dem gewitzten Marburger.

kobinet-nachrichten: Der 22. September naht ja nun in schnellen Schritten. Wählst du am 22. September im Wahllokal oder nutzt du als blinder Menschen die Briefwahl?

Wilhelm Gerike: Ich gehe ins Wahllokal und habe drei Wahlschablonen für blinde Menschen dabei.

kobinet-nachrichten: Warum drei?

Wilhelm Gerike: Wir haben drei Wahlen im Kreis Marburg-Biedenkopf. Zum einen wählen wir natürlich den Deutschen Bundestag, dann wählen wir den Hessischen Landtag und wir haben Stichwahl, wir wählen auch noch unseren Landrat.

kobinet-nachrichten: Mit einer Wahlschablone zu wählen ist für dich wahrscheinlich kein Problem. Ich habe gehört, dass du auch eine Heiratsurkunde in Brailleschrift hast.

Wilhelm Gerike: So ist es, ja.

kobinet-nachrichten: Wie kam das zustande?

Wilhelm Gerike: Das war eine ganz lustige Geschichte. Wir hatten eine Woche vor unserer Hochzeit einen Stammtisch gehabt, wo Leute von der SPD in Marburg dabei waren. Die SPD in Marburg ist gerne auch mal bei Vereinen zu Gast, und so waren sie eben auch bei uns. Das war damals zu der Zeit als das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz in Kraft trat. Ein Teil davon ist ja, dass blinde und sehbehinderte Menschen in geeigneter Form Schriftgut bekommen, jedenfalls dann, wenn es von Bundesbehörden kommt. Aus einer Bierlaune heraus habe ich dann dem damaligen Bürgermeister Egon Vaupel gesagt: "Sagen Sie mal, können wir dann nicht unsere Heiratsurkunde in Blindenschrift bekommen?" Da sagte der "Ja".

kobinet-nachrichten: Und das hat dann so einfach geklappt?

Wilhelm Gerike: Seine Dezernentin sagte: "Ja, dann müssen wir erst mal gucken, wir brauchen ja jemand, der die Echtheit bezeugt." Ich sagte da nur: "Herr Vaupel, das kriegen Sie hin."

kobinet-nachrichten: Und hat es geklappt?

Wilhelm Gerike: Tatsächlich, wir kamen aus dem Standesamt, Herr Vaupel kam, gratulierte uns und gab mir die Heiratsurkunde in Brailleschrift. Komischerweise hatte er die Presse nicht mit dabei. Damals waren in Sachen Pressearbeit noch nicht so aktiv, später haben wir die Sache dann veröffentlicht und das lief dann auch über die Deutsche Presseagentur dpa und im Videotext haben es Freunde von uns auch gefunden. Das war also eine schöne Geschichte.

kobinet-nachrichten: Wenn nun die Bundestagswahlen stattfinden, was wünscht sich derjenige, der als erster mit einer Brailleheiratsurkunde in Deutschland geheiratet hat von der Politik?

Wilhelm Gerike: Naja, soll ich jetzt den blöden Satz sagen, dass die Politiker einmal die Augen öffnen und auf unseren Personenkreis auch mal mehr achten sollen? Momentan ist es ja so, dass es durchaus möglich ist, von Bundesbehörden sein Schriftgut barrierefrei zu bekommen. Ich bekomme nun jährlich von der Rentenversicherung ein dickes Schreiben auch in Blindenschrift, in dem drin steht, was ich einmal an Rente erwarten kann. Mein Satz ist dann immer der: "Mein Schatz du darfst mich noch nicht ermorden, es lohnt sich noch nicht." Lange Rede kurzer Sinn, mir geht es darum, dass auch die Privatwirtschaft endlich aufgefordert werden muss, das selbe zu tun, was die Bundesbehörden auch tun müssen.

kobinet-nachrichten: Was wäre das?

Wilhelm Gerike: Das geht los, dass zum Beispiel die privaten Fernsehstationen auch endlich Filme mit Bildbeschreibung zeigen. Dass wir auch aus der freien Wirtschaft feed-back bekommen, wenn wir Geräte kaufen mit Sprachausgabe. Ein neuer großer Kabelanbieter bringt nun beispielsweise ein neues Gerät heraus, das blinde und sehbehinderte Menschen überhaupt nicht bedienen können. Da ist einfach nicht daran gedacht worden. 

kobinet-nachrichten: Hier wären gute Vorgaben von der Bundesregierung wichtig?

Wilhelm Gerike: Ja, ich sehe da die Politik in der Pflicht. Die Wirtschaft macht das nicht von selber. Wir haben doch gesehen, was die Politik in der Wirtschaft erreichen kann. Frau Merkel hat es erreicht, dass nun doch die Atomkraftwerke abgeschalten werden. Ich kann dann doch auch von Frau Merkel erwarten - und auch von Herrn Steinbrück, wenn er es denn wird - dass eben für uns auch einmal was angeschaltet wird.