Einkommen anrechnen verfassungswidrig

Veröffentlicht am von Franz Schmahl

Berlin (kobinet) Die derzeit praktizierte Anrechnung von Einkommen und Vermögen bei der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ist mit der UN-Behindertenrechtskonvention rechtlich unvereinbar und stellt einen Verstoß gegen die Verfassung dar. Zu diesem Ergebnis kommt ein juristisches Gutachten, das heute in Berlin die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) vorstellte.

Die Autorinnen Larissa Rickli und Anne Wiegmann von der Juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität (Law Clinic für Grund- und Menschenrechte) empfehlen in ihrem heute im Kleisthaus im Beisein des Bundesbehindertenbeauftragten Hubert Hüppe vorgestellten Gutachten, die deutsche Rechtslage entsprechend zu ändern.

"Gerade im Hinblick auf die laufenden Koalitionsverhandlungen stellt das Rechtsgutachten ein wichtiges Signal für die Schaffung eines einkommens- und vermögensunabhängigen Bundesteilhabegesetzes außerhalb des Sozialhilferechtes dar", erklärte ISL-Pressesprecher Hans-Günter Heiden. Denn behinderte Menschen müssen nicht nur regelmäßig einen Teil ihres Einkommens abgeben, wenn sie Leistungen zur Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben beziehen. Sie dürfen auch nur 2.600 Euro ansparen. Der Rest muss ans Sozialamt abgeführt werden, bzw. bevor dieses Vermögen verbraucht ist, werden keine Leistungen gewährt. Auch Partner werden mit in die Haftung genommen, so dass ein Ehepaar beispielsweise zusammen nur 3.200 Euro ansparen darf. „Damit werden behinderte Menschen, ihre PartnerInnen und Kinder arm gemacht", so Hans-Günter Heiden.

„Unser Glück dauerte nur einen kurzen Moment, als wir geheiratet hatten. Seitdem haftet mein Mann voll für meine behinderungsbedingten Kosten mit und wurde deshalb mit mir in die Armut getrieben. Obwohl wir beide einen guten Hochschulabschluss und Berufe mit einem guten Einkommen haben, bleibt uns nur wenig mehr als das Existenzminimum und das lebenslang. Jeder von uns muss 40 Prozent seines Einkommens abgeben und wir dürfen zusammen gerade 3.200 Euro ‚Vermögen' besitzen. Wie sehr muss er mich lieben, dass er mich trotz dessen geheiratet hat", schilderte die Sozialpädagogin Antje Claßen-Fischer die gegenwärtige absurde Situation, die sie zusammen mit ihrem Mann Rüdiger Fischer erleben muss.

Lesermeinungen zu “Einkommen anrechnen verfassungswidrig” (2)

Von Uwe Heineker

Es wird nun eng für die Bundesregierung, die sich nun nicht mehr herausreden kann, dass die deutsche Sozialgesetzgebung mit der UN-Behindertenrechtskonvention konform sei und daher bislang keinen Handlungsbedarf zur entsprechenden Anpassung sieht.

Zudem steht 2014 die
Staatenprüfung für Deutschland vor dem UN-Fachausschuss zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention an.

Nun ist rasches Handeln angesagt, wenn Deutschland sich nicht blamieren will.

Von EK

Was folgt daraus? Ist es erfolgversprechend, Behörden zu verklagen, die ganze Familien in Armut stürzen nur weil sie ein behindertes Familienmitglied haben? Oder muss man wieder warten, bis die entsprechenden Gesetze reformiert werden - ein Hoffen auf den Nimmerleinstag, wie bei so vielen Gesetzen die unvereinbar mit der UN-Behindertenrechtskonvention sind. Warum gibt es in Deutschland so wenige Rechtsanwälte, die den Mumm haben, Menschenrechte nach internationalem Recht einzuklagen?