EU-Mittel für kommunale Strukturen statt für Heime

Veröffentlicht am von Ottmar Miles-Paul

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Dublin (kobinet) Die Europäische Union bereitet sich derzeit darauf vor, die Verwendung der Mittel des Struktur- und Investitionsfonds in den nächsten sieben Jahren zu bestimmen. Der aufgestellte Rahmen für diesen Zeitraum bedeutet nach Ansicht des Europäischen Netzwerks für selbstbestimmtes Leben (ENIL) eine historische Gelegenheit, die Rechte der vielen Menschen zu schützen, die bislang ausgeschlossen sind: Nämlich für diejenigen, die in Heimen und zentralen Einrichtungen leben müssen.

Erstmalig enthalten nach Informationen von ENIL die im Dezember von der EU-Kommission und dem Europaparlament beschlossenen Richtlinien für die EU-Kohäsionspolitik (http://ec.europa.eu/regional_policy/what/future/index_de.cfm) explizit die ausdrückliche Unterstützung der "Überführung zentralistischer Strukturen in der Betreuung hin zu kommunalen Strukturen". Dies bedeutet die Verpflichtung, EU-Mittel künftig nicht mehr zum Erhalt zentralistischer Strukturen wie Heime zu verwenden, sondern ausdrücklich die schon so lange geforderten und benötigten lokalen Strukturen auf kommunaler Ebene zu fördern. Diese Verpflichtung ist nach Ansicht von ENIL in den heutigen Zeiten äußerst wichtig, da sie die Mitgliedsländer in die Lage versetzt, EU-Mittel künftig für die Schaffung gemeindeintegrierter Einrichtungen und Initiativen einzusetzen. Darüber hinaus wurde mit der Verabschiedung der "Vorschriften zur Umsetzung des Struktur- und Investitionsfonds" (http://ec.europa.eu/social/main.jsp?langId=de&catId=89&newsId=2019&furtherNews=yes) am 7. Januar dieses Jahres durch die EU-Kommission ein starkes Signal an die Mitgliedsstaaten gesendet, bei der zukünftigen Verwendung von EU-Mitteln eng mit den örtlichen Interessengruppen und sonstigen Beteiligten zusammenzuarbeiten.

Die "Europäische Expertenkommission zur Überführung zentraler Einrichtungen der Betreuung in kommunale Strukturen" (EEG) ist ein breiter Zusammenschluss, der Repräsentanten von Menschen mit Betreuungs- und Pflegebedarf, der die Anbieter solcher Leistungen sowie örtliche Behörden und zwischenstaatliche Organisationen umfasst. Seit 2009 setzt sich das Europäische Netzwerk für selbstbestimmtes Leben (ENIL) für die Durchsetzung von Gesetzen und Richtlinien ein, die eine Verwendung von EU-Mitteln zur Umsetzung von Reformen der Unterstützungsangebote in den Mitgliedsländern der EU und eine stärkere Bürgerbeteiligung sicherstellen. Die EEG begrüßt daher diesen historischen Durchbruch des EU-Gesetzgebers, der eine Verbesserung der Situation von Kindern und Erwachsenen in Heimen und zentralen Einrichtungen oder von der Einweisung bedrohten Personen bedeuten und die Chancen auf effektive Innovationen in sozialen Einrichtungen verbessern sollte.

Lesermeinungen zu “EU-Mittel für kommunale Strukturen statt für Heime” (13)

Von Sabine Fichmann

Sehr geehrte Frau Rosenberger,

Frau Nahles hat insofern schon geantwortet, dass diese Fragen dem bmas zu stellen seien. Nun gut, tun wir auch das noch.
Herrn Dr. Schäuble als Finanzminister sollten diese Fragen ebenfalls gestellt werden ( ich habe dies getan)- schließlich heißt es im Rahmen des steuerlichen Familienlastenausgleichs: " Ein volljähriges Kind wird ohne Altersbegrenzung als Kind berücksichtigt, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten und die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist."
§32 Abs.4 Satz 1 Nr.3 EStG

Mit dem Selbstbehalt von 127.- Euro plus nur noch 80% der Grundsicherung im SGB Xll (Regelbedarfstufe 3) sind diese Kinder nun in der Lage, sich selbst zu unterhalten?

Übrigens ist mit Einführung des Steuervereinfachungsgesetz für behinderte Kinder der Kindergeldgrenzbetrag erhalten geblieben (jetzt 8130.-Euro), für erwerbsfähige Kinder in Ausbildung oder Arbeit gibt es keine Einkommensgrenzen mehr.. Gestrichen hat man allerdings in diesem Zuge die bis dato anrechenbare Kostenpauschale, was wiederum nur die erwerbsunfähigen Kinder im SGB Xll bzw. deren Eltern trifft.

Auch hat man nicht weitergedacht, was die finanzielle Belastung der Kommunen betrifft: Abzweigung Kindergeld (beliebte Sache) läuft nun ins Leere und mancher, der bis dato keinen Antrag auf Übernahme von Unterkunftskosten gestellt hat, wird dies nun tun. Keine win-win-Situation- auch nicht für die Kommunen.



Von Inge Rosenberger

Nachfolgende Frage habe ich bei abgeordnetenwatch gestellt an Sozialministerin Andrea Nahles und die behindertenpolitische Sprecherinnen . . .
der SPD: Katja Mast
der Grünen: Corinna Rüffer
der Linken: Katrin Werner

die entsprechenden Links:
http://www.abgeordnetenwatch.de/andrea_nahles-778-78358--f414809.html#q414809
http://www.abgeordnetenwatch.de/katja_mast-778-78327--f414810.html#q414810
http://www.abgeordnetenwatch.de/corinna_rueffer-778-78429--f414858.html#q414858
http://www.abgeordnetenwatch.de/katrin_werner-778-78569--f414857.html#q414857

Wer ist eigentlich aktuelle/r behindertenpolitische/r Sprecher/in der CDU/CSU?? Immer noch Frau Michalk? Oder haben die das Amt abgeschafft??

Meine Frage:
Als Mutter einer schwerstbehinderten Tochter von 30 Jahren bitte ich Sie um eine Stellungnahme als behindertenpolitische Sprecherin zu dem geplanten Bundesleistungsgesetz.
Im Ergebnisprotokoll der Arbeits- und Sozialministerkonferenz vom November 2013 kann man (auf Seite 98 ab Zeile 655) nachlesen, dass das geplante Teilhabegeld bis auf einen Selbstbehalt auf die Leistungen der Eingliederungshilfe angerechnet werden soll, wenn der behinderte Mensch weiterhin darauf angewiesen ist.
Gleichzeitig soll der Anspruch der Eltern auf Kindergeld für ihre erwachsenen Töchter und Söhne entfallen (siehe Seite 98 ab Zeile 639). Dadurch entfallen den Eltern die Nachteilsausgleiche, die ein erwerbsunfähiges Kind steuerlich nicht geltend machen kann, die aber trotzdem zustehen bzw. entstehen ( Schwerbehindertenpauschale, Fahrtkosten, außergewöhnliche Belastungen etc). Bei Eltern im öffentlichen Dienst mindert sich obendrein der Familienzuschlag.
Ausgerechnet bei denjenigen, denen absolut kein Selbstbestimmungsrecht zugestanden und das Teilhabegeld auf die Werkstatt- oder Förderstättenkosten angerechnet werden soll, sollen mit der irreführenden Begründung des "selbstbestimmten Lebens" massive finanzielle Kürzungen vorgenommen werden.
Wie stehen Sie zu diesen Empfehlungen und Vorgaben der ASMK?
Mit freundlichen Grüßen

Von Dagmar B

Danke,Frau Maubach und Frau Fichmann für Ihr engagiertes Weiterdenken und rechnen.
Der ganze Bericht in leichter Sprache wäre wirklich nicht zu verachten.

Von Sabine Fichmann

Sehr geehrte Frau Maubach,
bei Streichung des Kindergeldes für das neue Teilhabegesetzt entsteht nicht nur ein Minus von 57 Euro.
Das Kindergeld (bzw. der Kinderfreibetrag) für erwachsene Behinderte wurde auch geschaffen, um den Eltern die Nachteilsausgleiche übertragen zu können, die ein erwerbsunfähiges Kind steuerlich ja nicht geltend machen kann, die aber trotzdem zustehen bzw. entstehen ( Schwerbehindertenpauschale, Fahrtkosten, außergewöhnliche Belastungen etc).
Bei Eltern im öffentl. Dienst mindert sich obendrein der Familienzuschlag und die Möglichkeit, das behinderte Kind in der Familienversicherung zu halten. Das macht in der Summe mehrere hundert Euro Minus pro Monat!. Eine glasklare Diskriminierung- erwerbsfähige Behinderte erhalten die steuerliche Abzugsmöglichkeit- erwerbsunfähigen wird dies ersatzlos gestrichen?

Von behindertenrecht

Teilhabegesetz für Alle oder Niemanden und Streichung der Eingliederungshilfe , weil Alle das Menschenrecht auf Teilhabe haben und kein Mensch eingegliedert werden muss, sondern von Anfang an dazu gehört !

Somit würde man auch bei der Leichten Sprache bleiben und sich keinerlei komplizierte politische Erklärungen ausdenken müssen, die am Ende ohnehin nichts nutzen .

Von Gisela Maubach

Liebe Dagmar B,
wenn laut Protokoll ein Selbstbehalt in Höhe von 127 Euro beim Teilhabegeld festgelegt werden soll, während 184 Euro Kindergeld gestrichen werden, dann errechne ich ein monatliches Minus von 57 Euro für die Betroffenen.
Das ist angesichts der bereits erfolgten Kürzung des Existenzminimums auf 80 Prozent (Regelbedarfsstufe 3) ein weiterer bewusster (!) Schlag in's Gesicht von schwerstbehinderten Menschen und ihren pflegenden Angehörigen.

Bewusst ist dieser Schlag vor allem deshalb, weil bei der Formulierung der Begründung ein Zusammenhang konstruiert wird, der absurd und deshalb auch zynisch ist. Wörtlich heißt es nämlich im Protokoll:

"In der Folge soll durch die Gewährung des Teilhabegeldes, das dem selbstbestimmten Leben des Menschen mit Behinderung dient, der Anspruch der Eltern des erwachsenen behinderten Kindes auf Kindergeld entfallen."

Ausgerechnet bei denjenigen, denen man ja gar kein Selbstbestimmungsrecht ermöglichen will und das Teilhabegeld auf die Werkstattkosten anrechnen will, will man also mit der irreführenden Begründung des "selbstbestimmten Lebens" das Kindergeld streichen - in der Hoffnung, dass kaum jemand diese Heuchelei durchschaut und deshalb kein nennenswerter Widerstand entstehen kann.

Und besonders bedauerlich ist auch, dass sich bisher keinerlei Interessenvertretung zu diesen skandalösen Plänen lautstark zu Wort gemeldet hat!

Von Dagmar B

Frau Maubach hat geschrieben:
Zitat:
Wenn also EU-Mittel für Arbeitsplätze außerhalb einer WfbM zur Verfügung gestellt werden, ist das zwar grundsätzlich eine gute Sache, aber es ist halt keine Inklusion, weil man denjenigen, die dafür ZU (!) behindert sind, ein ähnliches Selbstbestimmungsrecht gar nicht erst ermöglicht.
Zitat Ende

Ja,da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Das ganze Teilhabegeld ist Schwachsinn,weil es natürlich den tatsächlichen Bedarf der Eingliederungshilfe in keiner Weise decken kann und daher in keiner Weise irgendeine Unabhängigkeit von der Eingliederungshilfe herstellen kann.
Was das ganze mit Selbstbestimmung zu tun haben soll,ist mir auch schleierhaft.
Das trifft auch ganz sicher für Assistenzleistungen zu,die schwer behinderte Menschen brauchen,um einen regulären Arbeitsplatz zu wuppen oder um alleine zu wohnen.
Angerechnet wird,so wie ich es verstehe JEDE Eingliederungshilfe,die das Teilhabegeld übersteigt,bzw. umgekehrt.
Und bei der Anrechnung vom Kindergeld bei einem Selbsterhalt von 128 Euro kassieren die dann gleich nochmal 30 Euro ein.

Aber das ist ja erstmal ein Entwurf.
Bleibt zu hoffen,das viel Wiederspruch kommt!!!

Von Gisela Maubach

Die Einrichtungsgebundenheit und die Öffnung mit Nachteilsausgleichen für Arbeitgeber findet man auf den Seiten 84 ff (von insgesamt 223 Seiten) und die Streichung des Kindergeldes auf Seite 98 (Zeile 641) - ebenso wie die Anrechnung des Teilhabegeldes auf die Eingliederungshilfe für diejenigen, die weiterhin in den Einrichtungen bleiben müssen (Zeile 655).

Von Dagmar B

Liebe Frau Maubach

Können Sie mir die Seitenzahl im Dokument nennen.
Anhand der Zeilen finde ich nichts.

Von Gisela Maubach

Liebe Dagmar B,
im vorliegenden Beitrag geht es um EU-Mittel, die mit der Einrichtungsgebundenheit von "Eingliederungshilfe" bei der Tagesstruktur ja gar nichts zu tun haben und die den Werkstätten auch nicht den "finanziellen Hahn" abdrehen werden.

Im Ergebnisprotokoll der Arbeits- und Sozialministerkonferenz vom November 2013 kann man nachlesen, wie diese Einrichtungsgebundenheit (Zeile 258/259) in Richtung Arbeitsmarkt geöffnet werden soll - nämlich "Verschiedene Modellprojekte in den Ländern . . . zeigen, dass eine nachhaltige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen am allgemeinen Arbeitsmarkt, die einen Anspruch auf Aufnahme in den Arbeitsbereich einer WfbM hätten, u.a. nur realisiert werden kann, wenn gegenüber Arbeitgebern Nachteilsausgleiche erbracht werden können." (Zeile 267 ff)
In Zeile 641 ist beschrieben, dass das Kindergeld gestrichen werden soll, und ab Zeile 655 wird erklärt, dass das geplante Teilhabegeld bis auf einen Selbstbehalt auf die Leistungen der Eingliederungshilfe angerechnet werden soll, wenn der behinderte Mensch weiterhin darauf angewiesen ist:

http://www.reha-recht.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Infothek/Aus_der_Politik/BMAS/2013/Protokoll_90__ASMK_extern_-_final_barrierefrei.pdf

In der Praxis bedeutet das, dass ein schwerstbehinderter Mensch der "Fallgruppe C", für den insgesamt etwa 2.200 Euro pro Monat an die WfbM gezahlt wird, auch weiterhin auf diese einrichtungsgebundene "Eingliederungshilfe" angewiesen sein wird, weil das geplante Teilhabegeld in Höhe von ca. 660 Euro für seine Selbstbestimmung bei weitem nicht ausreicht.

Wenn also EU-Mittel für Arbeitsplätze außerhalb einer WfbM zur Verfügung gestellt werden, ist das zwar grundsätzlich eine gute Sache, aber es ist halt keine Inklusion, weil man denjenigen, die dafür ZU (!) behindert sind, ein ähnliches Selbstbestimmungsrecht gar nicht erst ermöglicht.

Und der inflationäre Gebrauch des Wortes Inklusion ist ja bekannt, aber offensichtlich hofft man, dass pflegende und betreuende Angehörige ohnehin schon zu belastet sind, um die "Sinnentleerung" dieses Begriffs ausreichend deutlich zu machen.

Von Dagmar B

Frau Maubach hat geschrieben:
Zitat
Was könnten "Interessengruppen" bewirken, wenn Eingliederungshilfe per deutschem Gesetz an Einrichtungen gebunden (!) ist, deren Träger gleichzeitig die Interessenvertreter sein sollten?
Zitat Ende

Liebe Frau Maubach
Eigentlich schließt § 1 SGB IX aus,das Leistungen zur Teilhabe die Selbstbestimmung einschränken.
Auch in §4 SGB IX wird das nochmal ganz deutlich,welchen Zweck und Sinn Leistungen zur Teilhabe haben.
Insoweit ist es erfreulich,wenn den Betreibern der Sonderwelten der finanzielle Hahn endlich abgedreht wird.
Allerdings haben Die (angekündiigt war es schon länger,das Sonderwelten demnächst nicht mehr in der Form finanziert werden)ja bereits eine tolle Strategie entwickelt,um trotzdem an das Geld zu kommen.
Sie nennen sich einfach inklusiv.
Wahrscheinlich kommen Die damit auch noch durch bei der dauerhaften Sinnentlehrung des Begriffs und dem inflationären Gebrauch des Wortes.

Liebe Grüße





Von Gisela Maubach

" . . . bei der zukünftigen Verwendung von EU-Mitteln eng mit den örtlichen Interessengruppen und sonstigen Beteiligten zusammenzuarbeiten" (Zitat-Ende)

Was könnten "Interessengruppen" bewirken, wenn Eingliederungshilfe per deutschem Gesetz an Einrichtungen gebunden (!) ist, deren Träger gleichzeitig die Interessenvertreter sein sollten?
Und wenn nur diejenigen eine Chance haben, ihre Tage außerhalb dieser Einrichtung zu verbringen, die leistungsfähig sind - für wen werden die EU-Mittel dann wohl (weiterhin) ausgegeben?

Von behindertenrecht

Das ist ein sehr guter Ansatz dafür, dass auch bei den Vorbereitungen eines vermögensunabhängigen Bundesleistungegesetz außerhalb der sogenannten Eingliederungshilfen, festgeschrieben wird, daß die bundesweiten Leistungen jeden behinderten Menschen gewährt werden, der Inklusionsshilfe benötigt und ausschließlich für Inklusion verwendet werden . UND das auch innerhalb der sogenannten Eingliederungshilfen , festgeschrieben wird, daß diese Hilfen ausschließlich dem Zwecke der Vorkehrungen für inkkusives Leben mitten in der Gesellschaft verwendet werden und somit institutielle Abhängigkeit und Dauerverbleib in Einrichtungen verhindert wird .
Denn die Verschwendungsuhr läuft nach wie vor ....