Keine Gelder für Stadtführer
Veröffentlicht am von Ottmar Miles-Paul

Bild: omp
Stuttgart (kobinet) Nachdem im aktuellen Haushalt der Stadt Stuttgart keine Mittel für einen Stadtführer für Menschen mit Behinderung eingestellt wurden, zeigten sich die MitarbeiterInnen des Stuttgarter Zentrum selbstbestimmt Leben (ZsL) enttäuscht.
Nach schriftlicher Rückfrage des ZsL bei allen Gemeinderatsfraktionen diesbezüglich stellt sich die Sachlage wie folgt dar: Die Fraktionen von SPD, FDP und SÖS/Linke haben Haushaltsmittel für einen barrierefreien Online-Stadtführer beantragt, wobei die FDP ihren Antrag dann in den Beratungen zurückgezogen hat. Nach Aussage von Frau Stadträtin Gröger von der SPD konnte "mit den verbleibenden Anträgen leider keine Mehrheit erreicht werden". Während die SPD versichert, an dem Thema dran bleiben zu wollen, informierte Herr Stadtrat Hill von der CDU, dass sich nach deren Auffassung "die 'Behindertenführer' ob in Papierform oder online überholt haben. Im Grunde kann sich jeder aktuell mit den Infos aus dem Netz versorgen, die er braucht".
"Diese Aussagen können von unserer Seite nicht unwidersprochen bleiben: Mit der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichten sich die Vertragsstaaten, angemessene Vorkehrungen zu treffen, um Menschen mit Behinderung gleichberechtigten Zugang zu allen öffentlich zugänglichen Angeboten zu gewährleisten. Dazu gehört auch die Information über die Zugänglichkeit. Doch obwohl ein solcher Stadtführer in Stuttgart immer wieder Thema war, konnte er bislang nicht realisiert werden. Es ist unendlich mühsam, jedes Restaurant, Kino oder Geschäft einzeln online zu suchen oder anzurufen, um nach einem barrierefreien Zugang zu fragen. Und oft stimmen die Angaben dann noch nicht einmal, da das Fachwissen über echte Barrierefreiheit fehlt", sagt Friedrich Müller, 1. Vorsitzender des ZsL und selber Rollstuhlfahrer.
Mittlerweile finde man online zwar einiges, aber eben nicht behinderungsübergreifend nach DI-Norm zu Barrierefreiheit überprüft. Auch sei längst nicht alles zu finden, beispielsweise zu den Stuttgarter Schwimmbädern fehle jegliche Angabe zur Barrierefreiheit. "Außerdem fehlt vielen Menschen mit Behinderung der Online-Zugang, da sie sich aufgrund ihres Werkstattlohnes von etwa 150 – 200 Euro monatlich weder PC noch Internetzugang leisten können", gibt Sozialarbeiterin Stephanie Aeffner zu bedenken. Dazu seien viele Internetseiten weder für Menschen mit Sehbehinderung noch für mit Lernbehinderung barrierefrei gestaltet. "Für uns ist es gerade in einer so großen Stadt wie Stuttgart, die noch dazu Landeshauptstadt ist, unerlässlich, die Informationen zu Barrierefreiheit übersichtlich gegliedert und fachlich korrekt zu erfassen, regelmäßig zu aktualisieren und sie sowohl online als auch in gedruckter Form zur Verfügung zu stellen", so Peter Epp, Geschäftsführer des ZsL. "Wir fordern daher alle Gemeinderatsfraktionen auf, den Stadtführer bei der von Oberbürgermeister Kuhn angekündigten Erstellung eines Aktionsplanes zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf die Agenda zu setzen."
Von Harald Kersten
Kein Geld im Haushalt der Landeshauptstadt für einen Stadtführer zur Barrierefreiheit, das ist wirklich ein "Armutszeugnis", da hat Kommentator Gotthilf Lorch völlig Recht. "Wir müssen uns auf den Weg machen, Inklusion mit dem Herzen zu leben", plädierte OB Kuhn auf dem "Ratschlag Inklusion" am 10. Februar. Ein Stadtfüher zur Barrierefreiheit im Internet und im Druck ist eine Grundvoraussetzung zur Gleichstellung. SPD und SÖS/Linke haben schon einmal Mittel dafür beantragt. Und wo ist die Fraktion der Grünen?`Mit ihr wäre die nötige Mehrheit schon erreicht. Wann kommt der entsprechende Gemeinderatsbeschluss?
Von Gotthilf Lorch
Es ist schon ungeheuerlich, ein Armutszeugnis und eine Schande.
Ausgerechnet die Hauptstadt von Baden-Württemberg, Stuttgart, nun eine „grüne“ Stadt, verweigert die Fortsetzung des Stadtführers für Menschen mit Behinderungen. Selbst, liebe CDU, wenn der Stadtführer nicht gedruckt wäre, sondern nur digital im Internet, sind eine Menge Ressourcen zur Ermittlung von korrekten Daten notwendig. Und viele sind auf sie angewiesen. Und glauben sie nicht, Mobilitäts-, Sinnes- und kognitiv eingeschränkte Menschen bleiben nur zu Hause. Stuttgart hatte lt. http://www.stuttgart.de/item/show/55485 3.115.768 Beherbergungen 2012. Es ist davon auszugehen, dass von diesen ca. 10 Prozent irgendwie beeinträchtigt waren. Um wie viel mehr Geld lassen sie wohl in Stuttgart, wenn sie einfach sinnvolle und zuverlässige Informationen über einen Stadtführer für Menschen mit Behinderungen in Buchform oder im Internet bekommen. Um wie viel einfacher ist die Beratung vor Ort in den Hotels oder sonst wo ?
Doch wahrscheinlich ging es überhaupt nicht ums Geld. Dass die FDP im letzten Moment einen Rückzieher gemacht hat lässt schwer vermuten, dass die CDU eindringlich auf ihren ehemaligen Koalitionspartner eingeredet hat und erklärte: im Wahljahr für Kommune und Europa kommt eine gemeinsame Sache mit den Regierungsparteien des Landes und SÖS/Linke nicht in Frage. Und dafür verdienen FDP und CDU ein: Pfui – schämt Euch !!!