Kulturkampf um Henri?

Veröffentlicht am von Franz Schmahl

Henri will mit seinen Freunden aufs Gymnasium gehen
Henri will mit seinen Freunden aufs Gymnasium gehen
Bild: Change.org

Köln (kobinet) Steht Grün-Rot in Baden-Württemberg zum Recht auf inklusive Bildung? Das fragt sich an diesem Wochenende der mittendrin-Verein in Köln. Der "Fall Henri" wird zum Prüfstein für die Kretschmann-Regierung, meint der Elternverein in einer Pressemitteilung:

Elterninitiativen für Inklusion aus Nordrhein-Westfalen schauen fassungslos nach Baden-Württemberg: Dort war geplant, dass ein Junge mit Down-Syndrom zum kommenden Schuljahr gemeinsam mit seinen Grundschulfreunden an eine weiterführende Schule wechselt. Nun regt sich dagegen Volkszorn - weil die weiterführende Schule ein Gymnasium ist. Die Schulkonferenz des Gymnasiums Walldorf hat sich - nach drei Jahren Vorbereitungszeit - in letzter Minute entschieden, Henri aus der Gruppe der Schüler mit Behinderung auszusortieren und nicht aufzunehmen.

Während Henris Eltern Kultusminister Stoch um Hilfe bitten und in einer Online-Petition inzwischen von mehr als 22.000 Menschen unterstützt werden, regt sich jetzt sogar öffentlicher Widerstand gegen den kleinen Henri. Gegen-Petitionen fordern, "Henri und den Schülern des Gymnasiums" sein Auftauchen in der Schule "zu ersparen".

"Wir finden es zutiefst verstörend, dass Menschen in Deutschland wegen der Einschulung eines Jungen mit Down-Syndrom an einem Gymnasium meinen eine Art Kulturkampf anzetteln zu müssen", sagt Eva-Maria Thoms vom Elternverein mittendrin e.V. aus Köln. "Es kann nicht sein, dass eine Landesregierung zusieht, wie einzelne Lehrer, Pflegschaften und Unbeteiligte vor Ort Entscheidungen der Schulämter kippen, um einen einzelnen Schüler loszuwerden."

Dabei ist es so erstaunlich wie bezeichnend, dass niemand merkt, wie sehr es den Argumenten der Gymnasiallobby an Logik fehlt: Es wird behauptet, dass das Gymnasium für Henri nicht geeignet sei, weil er als Junge mit einer geistigen Behinderung dem gymnasialen Lernstoff nicht folgen könne.

"Hier wird dem Gymnasium eine Einzigartigkeit zugesprochen, die es schlichtweg nicht hat", sagt die mittendrin-Vorsitzende. Kinder wie Henri werden an keiner Regel-Schulform im Lernstoff "mithalten", nicht in der Realschule, nicht in der Gesamtschule und auch nicht in der Hauptschule. "Wer von Schülern mit Behinderung vor dem Eintritt in eine Regelschule verlangt, sie müssten dem Standard-Lernstoff folgen können, stellt die Inklusion insgesamt in Frage." Denn damit würden weit mehr als die Hälfte der behinderten Schüler vom gemeinsamen Lernen ausgeschlossen. "Es ist schon erschütternd, dass selbst hoch gebildete Menschen sich Schulunterricht offenbar nur als Veranstaltung vorstellen können, in der alle Schüler im Gleichschritt einen Durchschnitts-Lernstoff pauken."

Lesermeinungen zu “Kulturkampf um Henri?” (4)

Von behindertenrecht

Nachdem ich diesen Artikel gelesen habe, fällt mir wieder die T-Shirt-Aufschrift ein " Lehrer denken nur an Stoff" !
Denn niemand verlangt von behinderten Menschen, daß sie den Standard-Lernstoff folgen müssen und niemand hat Recht davon auszugehen, daß behindete Menschen für "Standardschulen" nicht geeignet sind .
Denn Inklusion ist Menschenrecht und gerade in einen Land in dem Schulpflicht besteht,können behinderte Menschen nicht weiterhin an Sonderschulen verwiesen werden, sondern Chancen für inklusive Teilhabe bekommen .
Die Geeignetheit spielt letzendlich keinerlei Rolle, zumal man diese auch erst mit hoher Wahrscheinlichkeit feststellen kann,wenn man teilgenommen hat .

Von Dr. Carsten Rensinghoff

Aus eigener Erfahrung weiß ich das eine Sonder- oder Förderbeschulung immer gesellschaftliche Ausschließung nach sich zieht. 1982 erlitt ich mit 12 Jahren eine schwere Hirnverletzung. Bis dahin besuchte ich das 7. Schuljahr eines Gymnasiums. Nach der stationären Akutbehandlung wurde ich in der neurologischen Rehabilitationsklinik nach dem sonderpäd.Förderschwerpunkt Unterricht kranker Schülerinnen und Schüler und ab März 1983 in einer Förderschule mit dem sonderpäd. Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung unterrichtet. Nach dem Abitur habe ich das Lehramt für Sonderpädagogik studiert und it der ersten Staatsprüfung ageschlossen. Sonderschullehrer durfte ich aber nie werden, weil die Bezirksregierung Düsseldorf in der zweiten Ausbildungsphase festgestellt hat, dass meine Behinderung für das Ausüben des Sonderschullehrerberufs zu gravierend ist. Ich bin somit für den Lehrerberuf unausbildbar. Insgesamt war und ist Sonderbeschulung für die davon Betroffenen nur schädlich. Meine Empfehlung zur Inklusion als Betroffener lautet also:

a) die Ausbildung für das Lehramt für Sonder- oder Förderpädagogik zu streichen, denn die Sonderpädagogisierung in allgemeinen Schulen, also der gesonderte Unterricht behinderter SchülerInnen, bedeutet letztlich Ausschluss;

b) jedEr Lehramtsstudierende erfährt Lehre zu behinderungsspezifischen Themen;

c) die hochschulische- und Universitätsausbildung wird von qualifizierte Behinderten im Sinne des Peer Counsellings bzw. Peer Supports durchgeführt;

d)LehrerInnen, die keine Lehre zu behinderungsspezifischen Themen erfahren haben, nehmen diesbezüglich ihre Fort- und Weiterbildungspflicht wahr;

e) die unter d genannten Fort- und Weiterbildungen werden von qualifizierten Behinderten i. S. des Peer Counsellings und Peer Supports angeboten und durchgeführt.

Insgesamt ist festzustellen, dass nur Behinderte über ihre schulischen Bedürfnisse korrekte Aussagen liefern können. Das können keine nicht behinderten Erziehungsberechtigten, Beamten oder andere betreuende Stellvertreter!

Von Inklusionsfakten

Inklusionsfakten hat sich die Meinungen der Schulforscher angeschaut und Argumente für die Situation von Henri zusammengestellt. Sie helfen Antworten zu finden, wenn jemand sagt: „Inklusion ist schön, aber bitte nicht auf Gymnasien“.

http://inklusionsfakten.de/inklusion-ist-schoen-aber-bitte-nicht-auf-gymnasien/

Denn eines wird durch die UN-Behindertenrechtskonvention deutlich: Gymnasien sind keine “behindertenfreie” Zone. Dies ist menschenrechtlich nicht zulässig und auch nicht im Sinne von Anti-Diskriminierung und Inklusion. Die UN-Behindertenrechts-konvention (UN-BRK) unterscheidet nicht nach Oberschultypen. In der UN-BRK steht "inclusive System at all levels" - Gymnasien inklusive. Zitate von Bildungsforschern wie Wocken und Schuck, ein Video von Inklusionsforscher Prof. Hans Wocken zum Thema Inklusion am Gymnasien zeigen, dass auch zieldifferenter Unterricht an Gymnasien wichtig ist.

Von ottmaramm

Es ist wohl für viele Eltern von Kindern am Gymnasium eine arge Zumutung, das ihre "hochbegabten" Kinder mit "Krüppeln und Bekloppten" den Klassenraum teilen sollen!!