Lebenshilfe Bayern: Eltern im Fokus

Veröffentlicht am von Ottmar Miles-Paul

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Bild: Lebenshilfe

Erlangen (kobinet) "Die Lebenshilfe in Bayern nimmt es sehr ernst, zuallererst ein Eltern- und Selbsthilfeverband zu sein." Das betonte der stellvertretende Vorsitzende des Verbandes, Klaus Meyer, bei der Eröffnung der diesjährigen Elterntagung des Lebenshilfe-Landesverbandes Bayern in Erlangen.

"Schließlich treibt uns Eltern die Sorge um das Wohl unserer behinderten Kinder seit über 50 Jahren dazu an, uns selbst bei den örtlichen Lebenshilfen zu engagieren. Dazu gehört auch ein ständiger Austausch und ein partnerschaftliches Miteinander mit den Einrichtungen, die unsere Kinder oft ein Leben lang fördern und begleiten“, ergänzte Meyer im Hinblick auf die derzeitige Diskussion in den Medien zu freiheitsbeschränkenden Maßnahmen in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe. Für alle, die Eltern und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen, müsse immer das Wohlergehen des Kindes und Jugendlichen oder des erwachsenen Menschen mit Behinderungen an erster Stelle stehen, so Meyer weiter, der selbst Vater einer inzwischen erwachsenen Tochter mit geistiger Behinderung ist.

Eine freiheitsbeschränkende Maßnahme in stationären Einrichtungen könne zum Schutz eines Menschen mit Behinderungen bei Selbst- und/oder Fremdgefährdung erforderlich sein – nach sorgfältiger Abwägung aller Alternativen und nur so lang wie unbedingt nötig, fügte der Landesgeschäftsführer der Lebenshilfe Bayern, Dr. Jürgen Auer, hinzu. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Lebenshilfe-Einrichtungen mit den Eltern oder gesetzlichen Betreuern sei dafür unerlässlich. Darüber hinaus würden die Einrichtungen regelmäßig von den jeweiligen Aufsichtsbehörden geprüft und zwar sowohl was baurechtliche Vorschriften, die personelle Ausstattung, als auch pädagogische Maßnahmen betrifft.

Eine freiheitsbeschränkende Maßnahme dürfe bei Kindern und Jugendlichen grundsätzlich nur eingesetzt werden, wenn die Einwilligung der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten vorliegt. Ob für die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen in stationären Einrichtungen für Kinder und Jugendliche künftig eine richterliche Genehmigung wie bei erwachsenen Menschen mit Behinderungen erforderlich sein soll, müsse gesamtgesellschaftlich erörtert und entschieden werden, so Auer weiter. An dieser Diskussion beteilige sich die Lebenshilfe in Bayern selbstverständlich unter anderem im aktuell gegründeten Expertenrat des bayerischen Sozialministeriums, heißt es in einer Presseinformation der Lebenshilfe Bayern.

Mit rund 900 Einrichtungen, Diensten und Beratungsstellen habe die Lebenshilfe in Bayern ein umfassendes Netz von Hilfen für Menschen mit Behinderungen aufgebaut. Die Lebenshilfe sei zugleich Elternverband und Selbsthilfevereinigung, Fachverband und Einrichtungsträgerin. Der Lebenshilfe-Landesverband Bayern veranstaltet unter dem Motto "Eltern im Fokus" seit vielen Jahren Tagungen für Mütter und Väter von Kindern und Jugendlichen, aber auch von erwachsenen Menschen insbesondere mit geistiger Behinderung. Thema der diesjährigen Tagung war "Arbeit für alle? Förderstätte oder Werkstatt? Was brauchen unsere erwachsenen Kinder mit hohem Unterstützungsbedarf wirklich?". Die Tagung fand mit über 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern am 16. April 2016 in Erlangen statt.

Der bayerische Rundfunk hatte vor kurzem massive Menschenrechtsverletzungen durch Zwangsmaßnahmen an behinderten Kindern und Jugendlichen in bayerischen Einrichtungen aufgedeckt und intensiv darüber berichtet.

Link zu weiteren Informationen über die Menschenrechtsverletzungen in bayerischen Einrichtungen

 

Lesermeinungen zu “Lebenshilfe Bayern: Eltern im Fokus” (11)

Von Gisela Maubach

"Eltern im Fokus"

Mich macht so eine Aussage momentan nur wütend, da ich davon bisher noch nichts gemerkt habe.

Seit Mitte vergangenen Jahres kämpfe ich bei den Kostenträgern darum, dass ich die Betreuung meines Sohnes in andere Hände legen kann, da ich nicht nur erschöpft bin, sondern auch Arthrose in den Fingern und ständige Rückenschmerzen habe.
Innerhalb des Antrages auf ein persönliches Budget wurde dem Sozialhilfeträger im Januar (!) mitgeteilt, dass die Assistenz meines Sohnes in der bisherigen Form (also durch mich) nicht mehr sichergestellt werden kann und zum 1. März neu geregelt werden muss.
Bis heute ist noch nicht mal eine Budgetkonferenz terminiert!

Da mein Sohn nur 3 1/2 Stunden an Werktagen die WfbM besuchen kann und ich in dieser Zeit auch noch teilzeit-erwerbstätig sein muss, habe ich noch nicht mal die notwendige Zeit für Therapie- oder Behandlungsmaßnahmen.
Heute sind meine Rückenschmerzen unerträglich stark, aber trotzdem muss ich immer noch selbst betreuen und pflegen, obwohl mein Sohn 10 kg schwerer ist als ich selbst, so dass nicht nur das Wechseln der Windeln im Liegen eine einzige Qual ist.

Dass "Eltern im Focus" sind, wäre wirklich mein Traum!!!

Von Rosa

Literaturhinweis
Lebenshilfe-Verlag 2016
DIE "UNERHÖRTEN" ELTERN - Eltern zwischen Fürsorge und Selbstsorge
von Reinhard Burtscher, Dominique Heyberger, Thomas Schmidt
Auszug:
Nach bundesweiten Schätzungen lebt ca. die Hälfte der erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung in ihrer Herkunftsfamilie. Diese "permanente Elternschaft" kann mit dem Älterwerden der Eltern mit zunehmendem Alter der Söhne und Töchter mit Behinderung zu Konflikten oder sogar zu akuten Krisen führen, etwa bei Krankheit oder Behinderung eines Elternteils. Dann funktionieren eingespielte Rollenverständnisse und gewohnte Hilfestellungen nicht mehr. Eine bis dahin nicht erfolgte Ablösung der erwachsenen Söhne und Töchter mit Behinderung wird zum Problem auf beiden Seiten.

Das Buch zeigt Lösungen und Handlungsanweisungen auf.
Sie müssen nur noch von den Einrichtungsträgern umgesetzt werden.


Von Gisela Maubach

http://www.kobinet-nachrichten.org/de/nachrichten/?oldid=21695

"Warum musste es soweit kommen? Warum war die Verzweiflung eines Ehepaars so groß, dass es für sich und sein schwer behindertes Kind nur den Tod als Ausweg sah? Und das, obwohl es in Deutschland ein dichtes Netz an Hilfen gibt."


Wie immer deutlicher wird, gibt es Menschen, die zu (!) behindert sind, um von diesem angeblich so dichten Netz aufgefangen zu werden. Wenn Eltern irgendwann so verzweifelt sind, dass sie es ihrem Kind einerseits nicht antun wollen, nur noch verwahrt oder ruhiggestellt zu werden, andererseits aber selbst nach Ausschöpfung aller Belastungsgrenzen am absoluten Ende ihrer Kraft sind, dann ist die Betroffenheit groß, wenn es zu so einer Verzweiflungstat kommt . . . aber kurze Zeit später wieder vergessen . . . und dann werden diejenigen Eltern, die auf Missstände aufmerksam machen, auch noch ausgeschlossen (siehe u.a. Leserbrief von "Rosa").

Man darf gespannt sein, wann Eltern tatsächlich "im Fokus" sind, wenn es um die Vertretung ihrer Kinder geht, die selbst dazu nicht in der Lage sind.
Eine bundesweite Interessenvertretung ist hier schon lange überfällig!

Von Inge Rosenberger

Leider ist der erste Teil meines Textes verschwunden. Hier geht es um die Überforderung und fehlende Unterstützung von Familien.
Zitat:
"Für die Schulzeit hatte Nadine von der Caritas eine Begleitung bekommen. Das war wegen ihrer Aggressivität nötig. Danach war sie meistens nur zu Hause, aber nie nur in einem Zimmer eingesperrt. Frau E. musste sie aber immer kurz einsperren, wenn sie zum Beispiel zum Einkaufen ging.  [...]
Quelle und kompletter Text: http://www.merkur.de/bayern/familiendrama-rosenheim-nachbarin-sagt-darum-junge-frau-wirklich-eingesperrt-6329039.html

Von Inge Rosenberger

Es ist doch ganz oft der gleiche Sachverhalt: die "schwierigen und unbequemen" Menschen haben nach der Schule große Probleme, eine geeignete Tagesstruktur zu bekommen. Auto- oder Fremdaggression sind ein Ausschlussgrund für die Werkstatt und für Tagesförderstätte. Alternativen dazu können nur unter größten Schwierigkeiten oder gar nicht durchgesetzt werden - geschweige denn, dass diese Alternativen von außen angeboten werden.
Wie sollen die betroffenen Familien, die durch ihren unglaublich anstrengenden Alltag schon völlig überlastet sind, das überhaupt noch bewältigen?

Es gab vor etlichen Jahren schon einen ähnlichen Skandal, als ein alter Vater die schwerstbehinderte Tochter zeitweise an der Heizung angekettet hatte, weil er völlig überfordert war (auch kobinet hat damals darüber berichtet). Die große Frage war damals "wie konnte es nur so weit kommen?"
Hat sich seitdem irgendwas geändert? Nein, denn die gleiche Frage steht auch heute wieder im Raum - und eigentlich müsste im Abstand von jeweils einem Jahr nachgehakt werden, wie dann die aktuellen Bedingungen sind . . .

Von Rosa

@Rosi Nante
Richtig. Die Eltern in Bayer wurden zumindest gefragt: elternimfokus1 Dokumentation.
Eine Befragung betr. freiheitsentziehender Massnahmen konnte ich dieser Dokumentation aber nicht entnehmen.
Der Vorstand meiner LH hat in der letzten MV das "NRW-Modell" als beispielhaft dargestellt, weshalb ich befürchte, dass gem. con sens-Gutachten des Sozialministeriums, die TFS bis 2020 in die WfB überführt werden soll. Auf meinen Hinweis auf die möglichen negativen Auswirkungen wurde ich als "Kritikerin" bezeichnet und dergestalt sanktioniert, als ich bei der nachfolgenden Weihnachtsfeier der TFS durch eine SitzANORDNUNG des Vorstandsvorsitzenden von den übrigen Eltern separiert und zu den Sitzungen des Elternbeirats gar nicht erst eingeladen, sondern "gesondert informiert" werde. Soll ich jetzt auch nach Bayern umziehen?

Von Gisela Maubach

Wäre es für die kobinet-Redaktion nicht interessant, das unten genannte Urteil aufzugreifen und die Lebenshilfe um Stellungnahme dazu zu bitten?

Vom NRW-Kostenträger LVR liegt mir schriftlich vor, dass bei der sogenannten "Fallgruppe C" ein Personalschlüssel "von 1 : 2,95 bis 1 : 1" vorgesehen ist.
Zuständig für die Umsetzung sei allerdings die jeweilige Werkstatt, an die man sich im Streitfall auch zu wenden habe.
Wenn die Werkstatt aber selbst bei hohem Betreuungsbedarf nur 1 : 4 ermöglicht und dieser unzureichende Personalschlüssel vom LAG dann auch noch als ausreichend bestätigt wird, dann stellt sich doch automatisch die Frage:

Welchen Wert hat die Aussage 1 : 2,95 bis 1 : 1 des LVR, wenn dieser Personalschlüssel regelmäßig doch nicht realisiert wird und rechtlich auch nicht durchgesetzt werden kann?

Stichwort Etikettenschwindel . . .

Für die Betroffenen in NRW wäre es sehr hilfreich, wenn die Lebenshilfe hierzu mal Stellung nehmen könnte.

Von Gisela Maubach

Das Zitat "Eine freiheitsbeschränkende Maßnahme in stationären Einrichtungen könne zum Schutz eines Menschen mit Behinderungen bei Selbst- und/oder Fremdgefährdung erforderlich sein" ist deshalb höchst bedenklich, weil in dem Beitrag des Bayerischen Fernsehens ja sehr deutlich gezeigt wurde, dass die Eltern genötigt wurden, ihre Zustimmung zu geben, weil sie sonst den Platz für ihr Kind verloren hätten und dann mit dem Problem völlig allein gelassen wären.
Und wer kontrolliert dann "Einschlüsse laut Tagesplan"?

Es hat sich im Beitrag auch gezeigt, dass bei einem besseren Personalschlüssel derartige Einschlüsse gar nicht nötig sind!!!

In NRW besteht das Problem, dass bei der Tagesstruktur gar kein besserer Personalschlüssel als 1:4 durchgesetzt werden kann, weil das LAG Düsseldorf dies bereits so entschieden hat:

https://openjur.de/u/670920.html

Da ist zu lesen:

Absatz 109:
"Der Kläger kann nicht erwarten, dass er wie in der häuslichen Betreuung einen Betreuungsschlüssel von 1 : 1 erhält. Denn es darf nicht übersehen werden, dass es sich um eine Werkstatt handelt . . . Doch auch der vom Kläger zugrunde gelegte Schlüssel von 1 : 4 ist der Einrichtung angemessen . . . Hierzu wäre durch das Land Nordrhein-Westfalen eine Einrichtung nach § 136 Abs. 3 SGB-IX zu schaffen. Dass diese nicht existiert, ist nicht der Beklagten anzulasten, . . ."

und in Absatz 110:

"Es geht eben nicht ausschließlich um die Betreuung eines behinderten Menschen, sondern gerade um eine Einrichtung zur Teilhabe am Arbeitsleben."

Aber was machen dann diejenigen Menschen, die eben doch einen hohen Betreuungsbedarf haben?
Nach Bayern umziehen?
Das BMAS hat ja gerade den anderen Bundesländern das NRW-Modell zur Nachahmung empfohlen . . .
Bliebe dann wirklich nur noch Bayern?

Von Rosi Nante

@ Rosa: die Lebenshilfe-Bayern ist zumindest als übergeordneter Verband noch viel mehr eine Elternvereinigung wie die Bundesvereinigung!
Die Vorsitzende Ulla Schmidt will doch nach wie vor *Arbeit für alle* und ignoriert die negativen Auswirkungen des *NRW-Modells*.
Die Bayern fragen immerhin bei den Eltern nach was sie für ihre Kinder haben wollen.

Von Rosa

Die Lebenshilfe ist kein Elternverein (mehr).
Die Ausrichtung dieser mittlerweile mittelständischen Betriebe ist rein wirtschaftlichen Interessen unterworfen. Eltern/Mitglieder werden ebensowenig wie die Mitarbeiter gefragt, wie die UN-BRK umzusetzen ist. Wir haben es, wie man sieht, mit Vorständen zu tun, die oft seit 10/20 Jahren diese Ausrichtung vorgeben, und zwar in Orts- und Landesverbänden bin hin zur BV.
Kritische Eltern werden entweder nicht gehört bzw. werden ausgegrenzt. Das ist die Realität in der LH.
Auf eine Stellungnahme der BV der LH zu diesem Thema darf man gespannt sein.
Rosa

Von Dagmar B

Zitat:
Eine freiheitsbeschränkende Maßnahme dürfe bei Kindern und Jugendlichen grundsätzlich nur eingesetzt werden, wenn die Einwilligung der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten vorliegt.
Zitat Ende
....... und sind die Eltern nicht willig, gibt es keinen Platz in einer Einrichtung..........
Generalverdacht? Ja !!!!
denn :
Freiheit von Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Artikel 15)
33.
Der Ausschuss ist tief besorgt darüber, dass der Vertragsstaat die Verwendung körperlicher und chemischer Freiheitseinschränkungen, die Absonderung und andere schädliche Praktiken nicht als Folterhandlungen anerkennt. Er ist fernerhin besorgt über die Verwendung körperlicher und chemischer Freiheitseinschränkungen, insbesondere bei Personen mit psychosozialen Behinderungen in Einrichtungen und älteren Menschen in Pflegeheimen.
34.
Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, a) eine Überprüfung mit dem Ziel der offiziellen Abschaffung aller Praktiken vorzunehmen, die als Folterhandlungen angesehen werden; b) die Verwendung körperlicher und chemischer Freiheitseinschränkungen in der Altenpflege und in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen zu verbieten; c) Schadenersatzleistungen für die Opfer dieser Praktiken zu erwägen.