Zu Antworten der Bundesregierung

Veröffentlicht am von Franz Schmahl

Constantin Grosch übergab Unterschriften seiner Online-Petition
Constantin Grosch übergab Unterschriften seiner Online-Petition
Bild: Irina Tischer

Berlin (kobinet) Constantin Grosch, der kürzlich Unterschriften seiner Online-Petition an die Vizepräsidentin des Bundestages Ulla Schmidt und die behindertenpolitischen Sprecher und Sprecherinnen aller Fraktionen im Parlament übergeben hat, kommentiert heute für kobinet Antworten der Bundesregierung zu dieser Thematik.

Gastkommentar von Constantin Grosch

Die Antworten der Bundesregierung auf die Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion sind an Ignoranz der Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderungen, die auf Eingliederungshilfe angewiesen sind, nicht zu überbieten.

Es ist durchaus zynisch, in Anbetracht der jetzigen Regelung davon zu sprechen, die gesetzliche Lage vermeide „eine unzumutbare Beeinträchtigung der Lebensführung“. Zu diesem Schluss kann man wohl nur kommen, wenn man Menschen mit Behinderungen nicht als normalen Verbraucher in Betracht zieht. Dass auch Menschen mit Behinderungen Bedarfe und Wünsche haben, die über dem des absoluten Existenzminimums hinausgehen, sollte im Jahr 2014 längst in den Köpfen der zuständigen Entscheidungsträgern angekommen sein.

Umso verwunderlicher ist es daher, wieso die Bundesregierung der Meinung ist, dass Menschen mit Behinderungen nur ein Recht auf Reparaturen und Ersatzbeschaffungen bei „behinderungsspezifischen Bedarfen“ haben sollten. Die Bundesregierung ist also offiziell der Meinung, das behinderte Menschen nur ein Anrecht auf lebensnotwendige und „behindertenspezifische“ Bedarfe, wer auch immer das definiert, haben und das auch noch unabhängig von der eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

Diese Ansicht widerspricht fundamental der UN-Behindertenrechtskonvention:

"Artikel 28 Abs. 1: Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf einen angemessenen Lebensstandard für sich selbst und ihre Familien, einschließlich angemessener Ernährung, Bekleidung und Wohnung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen und unternehmen geeignete Schritte zum Schutz und zur Förderung der Verwirklichung dieses Rechts ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung."

 

Das Gewähren von lebensnotwendigen Hilfen mit Verknüpfung an die Bedingung, den eigenen Lebensstandard nur auf den fundamentalsten Teil, sowie dem undefinierten behindertenspezifischen Bedarf zu beschränken, steht im Widerspruch mit dem Recht auf „stetige Verbesserung der Lebensbedingungen“, die eben in der Konsequenz auch oberhalb der minimalen Lebensstandards liegen können. Zu beachten ist, dass dies ein Recht ist, dass von den Betroffenen natürlich selbst erreicht werden muss. Dabei dürfen sie aber nicht aufgrund von Behinderung diskriminiert werden, wie es zur Zeit der Fall ist!
Das die Bundesregierung damit zugibt, dass sie Menschen mit Behinderungen nicht mehr als das „menschenwürdige Existenzminimum“ zugesteht zeigt, dass sie sich geistig noch nicht von der Behindertenpolitik von vor mehreren Jahrzehnten entfernt hat.

Ebenso bemerkenswert ist es, wie die Bundesregierung Behinderungen als „Notlage“ einstuft. Eine Behinderung ist keine dauerhafte Notlage. Sie wird erst durch die aktuelle Armutsfalle „Hilfe durch den Staat“ zu einer solchen. Auch ist es nun einmal für den Betroffenen selber unmöglich sich aus seiner Notlage „Behinderung“ zu befreien. Davon zu sprechen, dass die Hilfe des Staates nachrangig zur Anstrengung des Leistungssuchenden sein sollte ist grotesk. Behinderten Menschen zu sagen, man helfe ihnen erst, wenn sie versuchten, nicht mehr behindert zu sein, ist lächerlich.

Besonders dreist ist auch die Antwort auf die Frage, ob die Bundesregierung der Meinung ist, die Einkommens- und Vermögensanrechnung bei (Ehe-)Partnern senke die Wahrscheinlichkeit der Partnerfindung oder Familiengründung. Die Antwort: „Bei einer Partnerschaft spielen in unserer Gesellschaft primär persönliche Aspekte eine Rolle.“

Ich bin geneigt, auf diese plumpe Antwort ebenso polemisch zurückzufragen: Warum gibt es dann im deutschen (Steuer-)Recht eine hohe Anzahl an finanziellen Anreize für die Eheschließung? Ebenfalls frage ich mich, ob man an die Möglichkeit einer Familiengründung nicht denken wollte oder schlicht vergessen hat. Beides wäre ein Ausdruck des fehlenden Verständnisses für das heutige Selbstbild von Menschen mit Behinderungen. Das sich der Mensch, der Hilfen vom Staat aufgrund seiner individuellen körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen erhält, an den Kosten beteiligen soll ist nachvollziehbar. Dass aber das Sozialleben dramatisch durch die aktuelle Regelung behindert wird, zeigt sich in den Versuchen von Betroffenen, diese zu umgehen. Befindet man sich in einer Partnerschaft, so wird nur dann der Lebenspartner mit einbezogen, wenn er seinen Wohnsitz mit dem des Partners teilt. Die vermeintliche Lösung für viele Paare mit einem behinderten Menschen ist daher die Aufrechterhaltung von mindestens zwei Wohnsitzen. Alleine aus diesem Grund stellen sich finanzielle Mehrbelastungen gegenüber Paaren ohne behinderten Menschen.

Es ist Realitätsverweigerung, wenn die Bundesregierung annimmt, dass es die Wahrscheinlichkeit für einen Menschen mit Behinderung nicht senkt, wenn er dem potenziellen Partner offenbaren muss, dass jener beim Eingehen der Partnerschaft automatisch zum Sozialhilfeempfänger wird. Selbstverständlich senkt es auch die Wahrscheinlichkeit eine Familie zu gründen, wenn die beide Elternteile zu Sozialhilfeempfängern werden.

Jeder Mensch mit Behinderung ist, sofern er die Behinderung seit der Geburt hat, ein geborener Sozialhilfeempfänger – vom ersten bis zum letzten Atemzug. Alleine diese Tatsache müsste schon ausreichen um den Gesetzgeber zu einer Änderung zu veranlassen und eine Diskriminierung durch die aktuelle Gesetzeslage zu bejahen. Das zeitgleich aber eine Art Sippenschaft erzeugt wird, ist unhaltbar. Es ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen selbst, sondern auch für die Partner, denen der Staat damit zum Ausdruck bringt , wie sehr er es schätzt (oder eben nicht), dass diese Menschen Verantwortung übernehmen und mit den Staat entlasten.

Nun haben sich vor allem die Bundestagsfraktionen von SPD und CDU/CSU zu beweisen, ob sie „ihre“ Ministerien kritisieren oder ob sie die Versprechungen der letzten Monaten und die bis heute konstruktiven Gespräche als Täuschung der Menschen mit Behinderungen missbraucht haben.

Ich jedenfalls, werde weiterhin genau hinsehen. Aber jetzt, noch genauer!

Lesermeinungen zu “Zu Antworten der Bundesregierung” (9)

Von behindertenrecht

Die Frage "Liegt es denn nicht an jeden selber, was er aus seiner Situation macht ?" , kann man getrost mit "NEIN" beantworten, solange das sogenannte "soziale Netz" für viele behinderte Menschen einrichtungsgebunden ist und die Schulpflicht auch für Sonderschulen aufrecht erhalten wird, anstelle von Inklusion für ALLE .

Das Freiheitsgebot hat für jeden Menschen mehr Wert .
Die Grundangst des Menschen, ist aus der Gesellschaft ausgegrenzt zu werden , daß haben bereits auch Sozialwissenschaftler mehrfach bestätigt .

Von brk jetzt

Sehr geehrter Herr Bernddeppe, Arm ist genau so relativ wie reich. Es kommt immer auf den Vergleich mit der Gesellschaft, in der ich lebe, an. Daher geht der Vergleich mit Amerika oder mit Afrika fehl. Hier werde ich benachteiligt, sobald ich behinderungsbedingt Nachteilsausgleiche in Anspruch nehme. Denn unsere Politik besteht darauf, dass ich zuvor arm zu sein habe. Da Sie dies nicht als Nachteil sehen, gehe ich davon aus, dass Sie in der Lage sind, trotz Behinderung ohne staatliche Unterstützung zu leben. Oder sehen Sie das als in Ordnung an, dass neben Finanzamt und Sozialversicherung das Sozialamt einen großen Teil Ihres Verdienstes einkassiert? Warum ist es nicht mal möglich, wenigstens unter den Menschen mit Behinderung Solidarität zu zeigen?

Von Bernddeppe

Da ich selbst mehrfach körperlich Behindert bin, bin ich wohl direkt angesprochen und (auch wenn das jetzt einigen nicht paßt) bin ich sehr froh hier in Deutschland zu leben, in den USA gibt es kein wirkliches Soziales Netz (z.B). Es gibt viele Schrauben die gedreht werden müssen, keine Frage aber wenn ich das jetzt mal für mich konkret sehe habe ich doch so ziemlich alles was ich möchte. Liegt es denn nicht an jedem Selber was er aus seiner Situation macht, es gibt tausend Dinge die bei uns selbstverständlich sind, aber würde ich in Afrika geboren worden sein wäre es wahrscheinlich sogar schwer einen Rollstuhl zu bekommen. Also Arm bin ich nicht und auch wenn ihr mir das hier Verkaufen möchtet.

Von Dagmar B

Danke,Herr Drebes fuer den Link.

Zitat Grosch:

Die Bundesregierung ist also offiziell der Meinung, das behinderte Menschen nur ein Anrecht auf lebensnotwendige und „behindertenspezifische“ Bedarfe, wer auch immer das definiert, haben und das auch noch unabhängig von der eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.


Im Gegensatz zu Herrn Groschs dauerhafter Rechtfertigung,durch wirtschaftliche Leistungsfaehigkeit einen besonderen Anspruch auf Lebensqualitaet zu haben,sind die Anfragen an die Regierung wohltuend allgemein gehalten und beziehen die Benachteiligungen von pflegenden Familien mit ein.
Das ist tatsaechlich endlich ein andere Ton in der Debatte.

Die Antwort der Regierung laeßt Schlimmes ahnen,jede Verantwortung wird auf die Laender abgewaelzt,der(ominoese) Gestaltungswille hinsichtlich eines Telhabegeldes soll ,hier wird es nochmal deutlicher,den Menschen mit Behinderung zu Gute kommen,die keine Eingliederungshilfe brauchen,bzw. von einer Mini Pauschale ihre behinderungsbedingten Nachteile ausgleichen koennen.
Aber wirklich neu ist das ja eigentlich nicht.

Von Sven Drebes

Die Antwort der Bundesregierung im Wortlaut:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/010/1801031.pdf
Nur was für Leute mit starken Nerven...

Von behindertenrecht

" Gelassenheit hilft ..... "

Von behindertenrecht

Ich hab gerade nochmal nachgeschaut , es ist das Youtube Video von Prof Gerald Hüther , mit dem Titel "Freiheit ist ein Kind der Liebe " .
Sehr sehenswert auch das Video von Prof. Gerald Hüther, mit dem Titel "Gesallenheit hilft - Anregungen für Gehrinbenutzer" .

Von behindertenrecht

In diesen Zusammenhang, lohnt es sich besonders auch auf die Meinung bzw. Erkenntnisse der Hirnforschung zu verweisen, wobei Prof. Gerald Hüter u.a. auf Youtube- Video darauf verweist, daß sogenannte Hyperaktive Kinder oftmals an Ärzte verwiesen werden, bereits mit der "Diagnosestellung" durch den Lehrer - "Dieses Kind ist hyperaktiv" .

Leben ist : Für behinderte Menschen oftmals Gerichte,Behörden, Therapieen, anstelle Leben mit Behinderung !

Anderenfalls müsste es ausreichen, wenn der Grad der Behinderung anhand von Facharztbefunden festgestellt ist, mit seiner Behinderung inklusiv am Leben teilzuhaben !

Denn behinderten Menschen zu sagen, man helfe ihnen erst, wenn sie versuchen nicht mehr behindert zu sein, ist mehr als lächerlich und würde "glaube ich " keinen Facharzt einfallen .
Solch eine Lage entsteht nur, wenn Politik , Lehrer etc. Diagnosen beurteilen und glauben man könne diese beseitigen, anstelle die Mehrbelastung eines Leben mit Behinderung anzuerkennen .

Von brk jetzt

Untätiges Parlament
Da sitzen Leute im Parlament, die wollen so viel verdienen wie Bundesrichter. Sie sind nur ihrem Gewissen verpflichtet. Dennoch verweigern sie sich, wenn es darum geht, eingegangene Verpflichtungen auch umzusetzen. Nach wie vor werden Menschen mit Behinderung wegen dieser Behinderung benachteiligt. Der Staat sorgt mit seiner geballten Gewalt dafür, dass sie auf einem Mindestmaß an Hilfeleistung, aber auch finanziell auf dem niedersten Level verbleiben und verstößt so gegen Artikel 3 unserer Verfassung. Gleichzeitig verstößt er gegen den Artikel 4 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen:

"Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsstaaten,
a) alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen;
b) alle geeigneten Maßnahmen einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen zur Änderung oder Aufhebung bestehender Gesetze, Verordnungen, Gepflogenheiten und Praktiken zu treffen, die eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen darstellen;
c) den Schutz und die Förderung der Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen in allen politischen Konzepten und allen Programmen zu berücksichtigen;
d) Handlungen oder Praktiken, die mit diesem Übereinkommen unvereinbar sind, zu unterlassen und dafür zu sorgen, dass die staatlichen Behörden die Träger der öffentlichen Gewalt und öffentlichen Einrichtungen im Einklang mit diesem Übereinkommen handeln;"

Der vollständige Text der Schattenübersetzung ist im Internet unter der Adresse http://www.netzwerk-artikel-3.de/dokum/schattenuebersetzung-endgs.pdf nachzulesen. Mit der interessengeleiteten offiziellen Übersetzung der Konvention aus den Amtssprachen fing das Desaster bereits an. Bereits hier wurde deutlich, wie man in der Politik mit diesem Thema umzugehen gedachte. Mittlerweile fordert schon die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung eine korrekte Übersetzung. Gerichte zitieren aus Ausgaben in einer der Amtssprachen der UN. Sollte Menschen ohne Fremdsprachenkenntnissen der Zugang zum korrekten Text verwehrt werden? Aber der desaströse Umgang mit der Konvention erlebte unzählige Fortsetzungen: Es gab viele Veranstaltungen unter Einbeziehung von Verbänden der Behindertenselbsthilfe auf dem Weg zum Aktionsplan oder auf dem Weg zum Staatenbericht. Nur, deren Kritik fand keinen Eingang in die jeweilige Endfassung. Und weil betroffene Menschen per se unglaubwürdig sind, wurden Legionen von Instituten und Wissenschaftler in Gang gesetzt, um die Lebenswelt behinderter Menschen zu evaluieren, Offensichtlich steht alles unter der Prämisse, möglichst viel Zeit zu schinden, um die Haushalte zu schonen, Inwieweit die Einflüsterer der Wohlfahrtsindustrie hier Einfluss nehmen, mag ich gar nicht beleuchten. Denn diese fürchten um ihre Pfründe. Ob zu Recht, wird sich nach der ehrlichen Umsetzung zeigen, Tatsache ist jedoch, dass dieses permanente Lavieren ein Ende haben muss. Schon jetzt wird die Umsetzung in die Nähe des Endes dieser Legislatur gelegt. Klappt es dann wieder nicht, soll es dann sicher die nächste Regierung richten. So geht das nicht weiter. Die Fakten sind bekannt und liegen auf dem Tisch. ForseA beweist, dass das Warten kein Geld spart, sondern alleine die zum Fenster rausgeworfenen Verwaltungskosten, die durch die permanente Kontrollen von Einkommen und Vermögen anfallen, seit Dezember 2011 die Milliardengrenze deutlich überschritten haben. Dieses Geld wäre für die Sicherung der Bedarfsdeckung sinnvoll auszugeben. Nun möchte ich wieder auf die Parlamentarier zurückkommen. Wenn Sie wirklich so viel Geld verdienen wollen, dann können Sie dies der Regierung, auch und gerade wenn Sie einer Regierungspartei angehören, nicht durchgehen lassen. Ergreifen Sie die Initiative und sorgen Sie dafür, dass von der Regierung gegebene Zusagen auch eingelöst werden. Menschen mit Behinderung werden in unserem Land zum Spielball sparwütiger Behörden. An dieser Front wird genötigt, erpresst, gelogen, betrogen, Hilfeleistung verweigert. Der hilfesuchende Mensch hat zwar den Weg zu Gericht. Dieser ist jedoch teuer und kostet mitunter viele Jahre. Doch das ist deren Lebenszeit, die hier ohne benötigte Unterstützung und in Armut verstreicht. Wie lange wollen Sie hier noch zusehen?