Wiedervereidigung mitsamt Heimatmysterium

Veröffentlicht am von Harald Reutershahn

Harald Reutershahn
Harald Reutershahn
Bild: Bettina Wöllner-Reutershahn

Jetzt haben wir den Salat: Bundeskanzlerin Merkel und ihre 15 Minister sind seit dem 14. März wiedervereidigt. Die Kanzlerin stand im ehrenwerten Hohen Hause in die preußischen Farben schwarz und weiß gekleidet, wie die deutsche Fußballnationalmannschaft, vor der ehemaligen schwarzen Null Wolfgang Schäuble, dem Superman-Rollifahrer, auch als Maggie Thatcher der Behindertenbewegung bekannt, der seinerseits vergessen hat (und es ist ihm immer noch nicht wieder richtig eingefallen), wo nämlich der Koffer mit den 100.000 Mark des Waffenschiebers und Steuerhinterziehers Karlheinz Schreiber in den ungereimten Wirrnissen der CDU-Spendenaffäre verschwunden war und blieb. Und abermals krähte der Hahn … ähm, Quatsch … das war diese andere Passionsgeschichte, mit Petrus, nach dem Abendmahl und vor Karfreitag und der Kreuzigung und so … Nein, es war die Kanzlerin (da soll man mal nicht durcheinanderkommen, bei all dem, was wir bereits hinter uns und schon wieder vor uns haben), die vor ihrem vormaligen Buchhalter stand, der ihr in diesem Fall das Textbuch zu halten hatte, aus dem sie die Eidesformel ablas, wie bereits dreimal zuvor, von wegen "… Schaden vom deutschen Volk abwenden …" usw. - Wer kennt diese biblische Beschwörungsformel nicht bereits in- und auswendig?

Was ist eigentlich neu – außer dem Heimatmysterium, das jetzt umbenannt wurde als "Heimatministerium"? Ist das ein völkischer Sprachkollaps? "Auf die Begriffe Heimat und Heimatbewegung nahm früh die völkische Bewegung Bezug. Sie forderte unter anderem eine Germanisierung des Christentums und einen Rückgriff auf einen vermeintlichen vorchristlichen Volksglauben (Neopaganismus). Heimat wurde als Grundlage einer 'unverwechselbare[n] völkische[n] Eigenart und Überlebensfähigkeit' interpretiert, womit oft die Betonung völkischer Überlegenheit verbunden war. Der Heimatbegriff wurde von der NSDAP aufgegriffen und in ihren Dienst gestellt" (Wikipedia). Der Heimatmysteriker Horst Seehofer hat sich derweil zum "Heimatminister" erhoben. Als erste Amtshandlung hat er verkündet: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland." So, so. Woher weiß er das? Wurde Seehofer nicht auf das Grundgesetz vereidigt? In Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes steht: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden." Die Kartoffel gehört bezüglich ihrer Herkunft auch nicht nach Deutschland. Wo will Seehofer eigentlich hin? Gehört er zu Deutschland? Und was ist mit Behinderungen – sollen die in Deutschland eine Heimat haben?

Alles in allem: Ich weiß inzwischen auch nicht mehr, wie wir aus dieser Nummer jemals wieder rauskommen sollen (Und täglich grüßt das Murmeltier.) Und so singen wir wieder und wieder und wer weiß wie lange noch miteinander im Jubelchor, in dem Land, in dem wir alle gut und gerne leben wollensollen, unser artig Liedlein. Es entstand 1847 von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, ja genau dem - die Neunmalklugen unter uns kennen ihn, er schrieb auch den Text zur Deutschen Nationalhymne sowie zahlreiche andere populäre Kinderlieder.

"Die Bundeskanzlerin hat entschieden dagegen protestiert, dass die deutsche Nationalhymne durch Geschlechtergleichstellungsbegriffe verhohnepiepelt wird. Das ist nachvollziehbar: allein auf Grund der zunehmenden Kriegseinsätze der Bundeswehr klingt 'Vaterland' einfach authentischer", schrieb Werner Lutz in seinem  "wer braucht gefälligst Satire? - Einheit(z)-Textdienst 4/18".

Und diesmal war es äußerst knapp bis zum Schluss. Die GroKo mit einer Parlamentsmehrheit von 44 Stimmen hatte bei der Kanzler*innenwahl im Bundestag 35 anonyme Abweichler in den eigenen Reihen. Die monatelang herbeigebetete GroKo ist am Ende eine MikroKo geworden mit gerade einmal 9 Stimmen über dem Durst. Bedenkt man, dass bei einer Bundestags-Wahlbeteiligung von 76,2 Prozent den Nichtwählern mit 23,8 Prozent eigentlich 169 Abgeordnetensitze zustehen würden, ist weder eine Jamaika-Koalition noch eine GroKo und schon gar keine MikroKo mehr legitimiert - aber man weiß ja nicht, was da so alles geraucht wird.

Da wird es schwierig, in den nächsten dreieinhalb Jahren ohne Muffensausen über die Runden zu kommen. Die Schaumschläger, Weichspüler und Schönrechner sind unterdessen bereits am Werk, die immer mehr werdenden Armen im Land gegen noch Ärmere auszuspielen. Und das nicht nur in Essen. Mal ganz abgesehen von den unappetitlichen Spahn-Ferkeleien. (Nein, ich lasse mich nicht dazu hinreißen, Jens Spahn einen Sozial-Rambo zu nennen. Er ist ein ehrgeiziger junger Mann, dessen Karriere als Minister-Neuling aufmerksam von Lobbycontrol beobachtet wird.) Bundeskanzlerin Merkel wird am 16. März in der FAZ zitiert mit dem Satz: "Unser System (ist) eines, das Menschen das Notwendige gibt". Was die MikroKo-Kanzlerin also für "das Notwendige" hält, besteht für Alleinstehende in 83 Cent pro Tag für Frühstück plus 12 Cent für Getränke sowie für Mittag- und Abendessen je 1,67 Euro plus 24 Cent für ein nicht-alkoholisches Getränk. Das muss reichen. Zwischenmahlzeiten sind nicht vorgesehen. Ob das für Frau Merkel und den vollmundigen Herrn Spahn reichen würde? Hätten diese beiden ein Kind zusammen, bliebe vom Hartz-IV-Satz für dieses arme Kind nur 1,38 Euro zum Essen für den ganzen Tag übrig. Mahlzeit.

Das Forschungsinstitut für Kinderernährung stellte jüngst fest, dass den Menschen, die in Deutschland von Hartz-IV leben müssen, allein zur Sicherstellung des minimalen gesunden Ernährungsbedarfs jeden Monat 70 Euro fehlen. Tägliche Mangelernährung ist angesagt.

Statt dem entgegenzuwirken, wird alles versucht, propagandistisch die Spaltung von Arbeitslosen und Lohnabhängigen zu vertiefen. Es gebiete, so heißt es gebetsmühlenartig, das Lohnabstandsgebot zwischen "faulen Arbeitslosen" und "fleißigen Erwerbstätigen" zu wahren. Und wer die Menschen derart gegeneinander ausspielt, der will damit in Wirklichkeit über das ärmliche Lohnniveau in Deutschland hinwegtäuschen. Vielen Beschäftigten ist es kaum noch möglich, von ihrem Lohn eine Familie zu ernähren. Die kapitalistische Privatwirtschaft jammert indessen, dass es zu wenig Arbeitskräfte und zu wenig Kinder gebe. Aber die Unterhaltskosten von Kindern werden zu einem erheblichen Teil über das Kindergeld von den Steuern bezahlt, welche die Lohnabhängigen selbst aufbringen müssen. Sie müssen sich selbst subventionieren.

Niedrige Löhne bedeuten niedrige Renten, begrenzte Gesundheitsausgaben und nach der obskuren Lohnabstandsgebotslogik noch niedrigere Hartz-IV-Sätze. Um das im Interesse aller zu verkaufen, versucht die wiedervereidigte MikroKo-Kapelle in Deutschland aggressiver als je zuvor Alte gegen Junge, Kranke gegen Gesunde, Behinderte gegen Nichtbehinderte, In- gegen Ausländer und Arbeitslose gegen Erwerbstätige auszuspielen.

Nach Feststellung des Sozialverbands VdK gehört die Armut in Deutschland mittlerweile zur Normalität. "Seit fast 15 Jahren steigt die Zahl der Betroffenen kontinuierlich an - und ein Ende dieser Entwicklung ist weiterhin nicht absehbar", so der VdK-Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen Horst Vöge am 28. März. Dabei sehe er zusätzlich das Problem der "verdeckten Armut", weil eine hohe Zahl an Menschen Hemmungen hat, Grundsicherung zu beantragen - obwohl sie eigentlich Anspruch darauf hätten. Außerdem geraten vor allem Frauen in die Armutsspirale.

Im Dezember 2017 bezogen in Deutschland mehr als 1 Million Personen ab 18 Jahren Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, teilte das Statistische Bundesamt mit. Das waren innerhalb eines Jahres 3,2 Prozent mehr Leistungsberechtigte als im Vorjahr. Damit stieg die Zahl der Bezieher von Grundsicherung in den letzten 14 Jahren kontinuierlich, um bis dato unverschämte 141 Prozent. Armuts-Spitzenreiter sind dabei die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Bayern, gefolgt von Niedersachsen, Baden-Württemberg, Hessen und Berlin. Von Erwerbsminderung betroffen sind vorwiegend behinderte Menschen.

"Inklusion ist als Gegenprogramm zu Bestrebungen, Menschen  auszugrenzen und die Gesellschaft zu spalten, gerade jetzt von großer  Wichtigkeit", erklärte am 23. März der Leiter der Monitoring-Stelle der UN-Behindertenrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Valentin Aichele, in Berlin und forderte ein über den Koalitionsvertrag hinausgehendes tatkräftiges politisches Handeln. "Inklusion sollte als gesellschaftspolitisches Programm verankert werden", so Aichele. In Missachtung der UN-Behindertenrechtskonvention werden in Deutschland laut Feststellung des Deutschen Instituts für Menschenrechte weiterhin viele Menschen mit Behinderungen von zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Miteinanders wie Bildung, Arbeit oder Wohnen ausgeschlossen. Damit sei die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland nicht erreicht, so  Aichele, und er fügte hinzu, dass nur auf der Basis von Menschenrechten gesellschaftlicher Zusammenhalt gelingen und eine Gesellschaft die Herausforderungen der Zukunft bestehen könne.

"Es dürfte das letzte Kabinett Merkel sein", schrieb jüngst die Basler Zeitung. Aus der Schweiz beobachtet man: "Ein Panikorchester spielt auf zum letzten Tanz." Als am 14. April 1912 die Titanic unterging, spielte die Kapelle bis zum Schluss.

Lesermeinungen zu “Wiedervereidigung mitsamt Heimatmysterium” (3)

Von kirsti

Der Heimatminister sollte sich zur Einstimmung in sein Amt mal den Roman das „Heimatmuseum“ von Siegfried Lenz zu Gemüte führen; ist zz. leider allerdings vergriffen. Aber ich denke, jede gute vor allem bayerische Heimatbibliothek wird es gerne – zur Not auch per Fernleihe – zur Verfügung stellen können.

Von rgr

Fragen, die die Behindertenbewegung (noch) nicht absehen kann

"'Inklusion sollte als gesellschaftspolitisches Programm verankert werden', so Aichele. In Missachtung der UN-Behindertenrechtskonvention werden in Deutschland laut Feststellung des Deutschen Instituts für Menschenrechte weiterhin viele Menschen mit Behinderungen von zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Miteinanders wie Bildung, Arbeit oder Wohnen ausgeschlossen."

Die Aussage stimmt auch, aber sie stimmt nur zu Teilen. So wie auch Bildung, Arbeit oder Wohnen nur zu Teilen gesellschaftliches Miteinander ermöglichen:

Im Bereich der Bildung sind die Chancen in Deutschland durch soziale Herkunft sehr ungleich verteilt. (=kein Miteinander!) Arbeit ist für Lohnabhängige Ausbeutung. Die Solidarität der Lohnabhängigen ist ihr Lichtblick, den sie aber mit den Herrschenden perspektivisch nun mal nicht teilen können. (=kein Miteinander!) Zum behaglichen Wohnen gehören nette Nachbarn, aber soziale Verdrängung und Separation treiben Wanderungsbewegungen an. (=kein Miteinander!)

Ein großer Teil unserer Sorgen gilt der Armut, die bei uns verbreitet ist, und die ja auch gesellschaftspolitisches Programm war und ist.

Die Berücksichtigung der Inklusion in den gesellschaftspolitischen Aussagen der Wahlprogramme der Parteien haben wir 2017 zur Kenntnis nehmen müssen. Den Koalitionsvertrag haben wir zur Kenntnis nehmen müssen und der Beifall war bisher verhalten. Nur kein Stillstand scheint auch nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrags die Devise zu sein. Nur was soll jetzt kommen? Die Phase programmatischen Wirkens scheint erstmal abgeschlossen und der Bundeshaushalt ist als nächstes zu erstellen.

Wir müssen bei unserem Vorgehen im Auge behalten, das zentrale Begriffe, wie Bildung, Arbeit oder Wohnen umkämpfte politische Begriffe sind. Wir müssen unsere Bündnispartner deshalb auf Nähe an uns binden, damit wir Bewegungen verstehen und dann selbstbestimmt agieren können.

Von Behindert_im_System

Zitat:

Hätten diese beiden ein Kind zusammen, bliebe vom Hartz-IV-Satz für dieses arme Kind nur 1,38 Euro zum Essen für den ganzen Tag übrig. Mahlzeit.

Sehr geehrter Herr Reutershahn,

kann es sein, dass Sie dem Glauben verfallen sind mit Kolumnen wäre die Kindesarmut welche Sie immer wieder hervorheben und die es durchaus gibt, zu beseitigen?

Mich würde gelegentlich sehr interessieren, was Sie für einen Taschenrechner benutzen und wo Sie derartige Informationen her haben?

Der Vergleich des gemeinsamen Kindes sollte doch nicht etwa ein Aprilscherz sein, nur wo finde ich da die Stelle zum lachen?