Revolution statt Reform!

Veröffentlicht am von Roland Frickenhaus, Dresden

Roland Frickenhaus
Roland Frickenhaus
Bild: Roland Frickenhaus

Mit dem 03. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung, steht wieder einer dieser schicken Gedenktage im Kalender, an denen es sich für die behindertenpolitischen Sprecher der Parteien und die Vertreter von Institutionen und Verbänden immer ganz gut macht, wenn sie Nettigkeiten von sich geben.

Da wird dann wieder der Konjunktiv getriezt und wir dürfen einmal mehr Augen- und Ohrenzeugen von bunten Sprechblasen werden, die von tumben Appellen bis zu realitätsentrückter Selbstbeweihräucherung alles an Bord haben werden. Motto: Hauptsache es hört sich wohlwollend an und kostet nix.

Tatsächlich aber steckt die Deutsche Behindertenhilfe schon seit Jahrzehnten in einer Sackgasse. Denn bisher haben es weder das seinerzeit in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes neu aufgenommene Benachteiligungsverbot von 1994, das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) von 2002, die „Ablösung“ des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) durch das Sozialgesetzbuch XII von 2004/2005, die UN-Behindertenrechtskonvention (UNB-BRK) von 2009 oder das Bundesteilhabegesetz (BTHG) ab 2016 geschafft, die Behindertenhilfe so zu gestalten, dass sie auch nur dem Geist und den Buchstaben dieser Gesetze entsprechen würde.

Das ist, gelinde ausgedrückt, blamabel. Denn die Ursache für immer wieder neue Gesetze liegt nicht etwa  in einem stetig angestiegenen fachlich-wissenschaftlichen Erkenntniszuwachs, sondern in der banalen Absicht, Geld zu sparen. Was fachlich zu tun ist, um eine gesellschaftliche gleichberechtigte und gleichgestaltete Teilhabe zu erreichen, ist schon lange klar. Dazu hätte es diese (Form der) Gesetze nicht bedurft.

Bei Licht betrachtet ist die deutsche Debatte um Teilhabe zuallererst eine Finanzdebatte, sie ist eindeutig keine Debatte um die besten Konzepte. Hier ist mittlerweile alles gesagt und auch alles erforscht. Es fehlt nicht an Theorien, Konzepten und Modellen, was aber fehlt, ist der unmissverständliche Wille zur konsequenten Anwendung und Umsetzung.

Gleichstellung darf nichts kosten, Inklusion soll die bestehenden und über Jahre gewachsenen Sonderwelten verschonen und über der vollumfänglichen Teilhabe schwebt der Mehrkostenvorbehalt. Und das „gemeinschaftliche Wohnen“ in einer „besonderen Wohnform“ ist der fachliche Meilenstein auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft, oder was?

Aktuell versuchen gerade die Autoren des BTHG, die von sich in Anspruch nehmen, mit ihrem Gesetzeswerk, das nach wie vor auf Hilfebedarfsgruppen zurückgreift und das nach wie vor über die Angemessenheit von Wünschen Betroffener befindet, die Eingliederungshilfe zu reformieren. Und man sieht jetzt schon, dass es nur eine Frage der Zeit sein wird, bis ein weiteres Verschlimmbesserungsgesetz die Amtsstuben verlassen und die Unübersichtlichkeit potenzieren wird, statt dringend erforderliche klare Aussagen zu treffen.

So ist es auch nicht von ungefähr, dass die Stimmen nach einem Verschieben oder Aussetzen der Reform lauter werden. Wir haben nicht vergessen, dass das BTHG kurz vor knapp, und gegen den deutlichen Rat von Experten, einzig aus politischen Gründen durchgedrückt wurde, weil im darauffolgenden Jahr Wahlen anstanden, nicht aber weil es ausgereift gewesen wäre. Dass einem das jetzt auf die Füße fällt und um die Ohren fliegt, darf nicht wundern.

Pardon, aber die Deutsche Behindertenhilfe braucht keine weitere Reform mehr, sondern sie braucht endlich den Systemwechsel. Es geht um Revolution und nicht um Reform! Eine Revolution ist ein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel eines oder mehrerer Systeme, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt. (WIKIPEDIA). Nicht mehr, aber bitte auch nicht -schon wieder- weniger.

Wer denkt, dass es einzig die Träger und Dienstleister sind, die wenig von Restlaufzeiten für Sonderwelten halten, dem sei gesagt, dass dies die Verwaltung schon gar nicht will. Immerhin spielten (und spielen...) Kostengründe bei der Schaffung von Sonderwelten die zentrale Rolle. Auch wenn sowohl menschenrechtlich als auch fachlich nichts für die Konzentration von Menschen mit Behinderung an zentralen Orten spricht, wird munter weiter die Schaffung von Sonderwelten gefördert. Wer die UN-BRK ratifiziert hat und gleichzeitig den Bau einer Wohnstätte oder einer Werkstatt für Behinderte finanziell fördert, ist nicht ehrlich.

Wer die gemeinsame Stellungnahme von BAG WfbM und WRD zur Staatenprüfung liest, in der die Autoren die Werkstätten als „Teil der Lösung“ bezeichnen, weil sie den „Arbeitsmarkt in Deutschland erst inklusiv machen“, bekommt schnell eine Ahnung, wie massiv die Beharrungskräfte sind. Da ist eine „Reform“ eine eindeutige Unterdosierung, die nichts weiter produzieren wird als Stellungnahmen ähnlicher Peinlichkeit.

Es braucht klare und eindeutige politische Aus- und Ansagen. Noch aber unterstützt die Politik die sonderweltliche Form der Teilhabe: Sie erteilt Baugenehmigungen, sie bescheidet Fördermittel und sie ermöglicht es Unternehmen, sich von der Pflicht, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen, freizukaufen.

Der Politik scheint nicht klar zu sein, dass ihr bei einem Systemwechsel aufgrund des Subsidiaritätsprinzips die zentrale Rolle zukommt, denn es ist ihre Aufgabe, sich um die Bürger mit Behinderung zu kümmern. Dafür bestellt und dafür bezahlt sie.

Sie muss sich dringend darüber klar werden, was sie denn nun wirklich bestellt hat. Das scheint von dem, was sie gern hätte, deutlich abzuweichen. Es darf sie deshalb nicht verwundern, wenn der unbescholtene Bürger die UN-BRK ebenso als „Bestellung“ versteht wie den Artikel 3 im Grundgesetz oder das Gleichstellungsgesetz.

Wenn es sich lediglich um eine Absichtserklärung handelt, nicht aber um eine rechtsverbindliche Bestellung, dann ist das zu kommunizieren. Handelt es sich aber um eine klare rechtsverbindliche Bestellung, dann ist darauf zu achten, dass die Lieferanten, gegebenenfalls innerhalb einer klar zu setzenden Frist zur Umstellung und Anpassung, das liefern (können), was bestellt wurde. Man kann doch nicht „UN-BRK“ bestellen und „Sonderwelt“ bezahlen und dann erwarten, dass man noch von denen gefeiert wird, die das auszubaden haben!

Nicht jeder bezahlt sein Auto bar. Und es gibt auch durchaus Verständnis dafür, wenn die „volle und gleichberechtigte Teilhabe“ über ein „Finanzierungsmodell“ realisiert wird. Das ist immer noch besser, als ein totes Pferd zu reiten und sich am 03. Dezember wieder phrasenreich vor irgendein Mikrofon zu stellen.

Um die endlose Rumreform(ei)erei zum Erfolg zu bringen, wird es nicht ohne Konzepte zum Ausstieg gehen. Warum soll es hier eigentlich geräuschloser vonstattengehen als bei der Kohle, wo es doch auch hier um reichlich „Kohle“ geht? Wir brauchen objektbezogene Restlaufzeiten für jedes Angebot, dessen Konzept auf Besonderung ausgerichtet ist. Dazu sind individuelle Restlaufzeitvereinbarungen abzuschließen und mit den jeweiligen Zweckbindungsfristen zu synchronisieren. Die Ausgleichsabgabe gehört ebenso angepackt wie das Thema Mindestlohn, um mal etwas Butter bei die Fische zu tun.

Es gäbe allerhand zu sagen, am 03. Dezember 2018. Unterdessen wächst der Berg der Probleme, weil die Verantwortlichen nicht klar und eindeutig sind und es so zulassen, dass zwischen ihren Worten und ihren Taten Hoffnungen und Enttäuschungen gleichermaßen keimen können.

Dabei ist es ganz einfach: Genauso wenig wie man „im Licht der Speisekarte“ eine Pizza bestellen kann, kann man „im Licht der UN-BRK“ die Eingliederungshilfe reformieren!

 

Lesermeinungen zu “Revolution statt Reform!” (18)

Von rgr

... und schon wieder off topic (für Verwirrungen bin ich nicht verantwortlich)

Ich fordere die Kobinet Redaktion zu einer Erklärung auf, in der sie bitte gut begründen möchte warum meine fünf Terminhinweise zur Geschichte des Nationalsozialismus abgelehnt wurden. Das ist einem Carl-von-Ossietzky nicht würdig.

Siehe fünf Termine: https://extramural.de

[Redaktion: Bitte tragen Sie alle Ihre Termine in unseren Kalender https://kobinet-nachrichten.org/de/2/dokumente/30891/Termine-bei-kobinet-melden.htm (auch über Rubrik Thermine erreichbar) ein. Da wir vollständig ehrenamtlich arbeiten ... Danke. ]

Von rgr

Wen diese Geschichte interessiert, dem empfehle ich die Ausschussdrucksachen und die Stellungnahmen zur öffentlichen Anhörung des sogenannten 'Ausstiegsgesetzes'.

Von rgr

Ich sehe heute noch die versteinerten Minen von SPD, Grünen bis Greenpeace, als ich ihnen erklärte das ihr Projekt Restlaufzeiten grundrechtswidrig ist. Damit hatte ich ihnen gleichzeitig auch ihre Niederlage in dem Kampf erklärt.

Diese Geschichte soll sich nicht wiederholen.

Von rgr

Wenn die Behindertenbewegung mit einer idealistisch getriebenen und damit reduktionistischen Auffassung von den Grundrechten in Verhandlungen mit den Betreibern von Absonderungswelten eintreten wollte, dann prophezeie ich, das sie bereits in der ersten Runde aus dem Sattel gehoben wird.

Zum Glück habe ich mich im Rahmen eines Bundestags Jobs mit dem ersten Restlaufzeiten Gesetz der rot-grünen Bundesregierung auseinandersetzen dürfen. Ich bin also 'well prepared' was diesen Streit angeht. Deshalb Vorsicht an der Bahnsteigkante.

Von rgr

Zum Thema der Kolumne

Verstehe ich die von Formel von Roland Frickenhaus richtig?

Revolution = Art.3 GG / Restlaufzeit

Wenn das die Aussage wäre, dann würde ich mich gezwungen sehen dagegen einzuschreiten. Diese Aussage wäre dann schlicht und einfach grundrechtswiedrig.

Grundrechte wären dann nicht mehr als eine Zielbestimmung für die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft. Diese Grundrechtsauffassung würde auf einer idealistische Grundrechtsauffassung reduziert werden. Dies hätte direkte Auswirkungen auf ihre Geltung (vgl. dazu die Auffassung von G. Bartz v. 13.11.18). Damit wären die Grundrechte zwar auch kein Geschwätz, aber es wären auch nicht mehr als hehre Ziele.

Von TN

Da an entsprechender Stelle (siehe https://kobinet-nachrichten.org/de/1/nachrichten/39092/Wohnraumoffensive-Beauftragte-f%C3%BCr-uneingeschr%C3%A4nkte-Barrierefreiheit.htm
das Absetzen von Kommentaren verunmöglicht wird), weiche ich auf die Kommentarspalte hier aus.

Eben gelesen, dass der grüne Baustadtrat von Berlin-Prenzlauer Berg es verbieten will, dass die Deutsche Wohnen (es geht hier nicht um den gesellschaftlich schlechten Ruf, den sich die Deutsche Wohnen eingehandelt hat) bei der Sanierung von Altbaubestand die entsprechenden Wohnhäuser nicht mit Fahrstühlen nachrüsten dürfen soll.

Siehe https://www.morgenpost.de/bezirke/pankow/article215843293/75-Prozent-teurer-Deutsche-Wohnen-saniert-Mauerpark-Haeuser.html

Der grüne Baustadtrat will barrierefreies Wohnen vereiteln!

Die Frage ist doch eher, _ob_ der Einbau und das Vorhandensein von Fahrstühlen in Wohnhäusern als Luxus zu betrachten ist und dies auf die Höhe der zu zahlenden Miete Auswirkungen haben darf oder nicht, da Fahrstühle, wie Fenster, zur Grundausstattung von (Wohn)häusern zählen.

Von rgr

Und alles das zumal die Sackgassenanalyse nicht für eine gute Verhandlungsposition spricht.

Von rgr

Und auch diesmal sage ich es laut: Wir schulden den Betreibern keine Rendite.

Von rgr

Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz

In Respekt vor Artikel 2, Abs. 2 GG hatte ich immer eine klare politische Haltung zu Restlaufzeiten. Als die rot grüne Bundesregierung Restlaufzeiten für Atomkraftwerke verhandelte war ich dagegen. Als die Regierung Merkel darauf aufbauend die Restlaufzeiten verlängerte war ich dagegen. Als die Fukushima Katastrophe hereinbrach war ich noch strickter gegen Restlaufzeiten. Mein Grund war und ist der: Atomkraftwerke bergen die Gefahr eines Schadenausmaßes, die nicht vertretbar ist.

Ich werde es mit Vorschlägen für Restlaufzeiten für Sonderwelten ebenso handhaben. Der Grund ist jedoch ein anderer.

der Götz

Von Uwe Wypior

Ich sehe es auch so wie Herr Frickenhaus!
Vielen Dank dafür.

Allerdings sollten wir, wie in machen Kommentaren, wo vom "System" geschrieben wird, es auch konkret benennen:
ES IST DER AUTORITÄRE KAPITALISMUS . So funktioniert er eben, mit all seiner menschenverachtenden Verwertungslogik; mit seiner rohen Bürgerlichkeit; mit seiner nach Effizienz, Nützlichkeit und nach Konkurrenz lechtzenden Ideologie.
Wir sollten viel politischer werden!
solidarische Grüße
Uwe Wypior

Von rgr

@kirsti

Alle Achtung.
Aus Ihren Worten spricht Zorn.

Von kirsti

Sirstone“ sagt „aus mir spricht schon manchmal die Wut…“
Wut ist es, wenn ich die Steine wegräumen muss, die man uns bei jeder Gelegenheit vor die Füße wirft. Wut habe ich, wenn wieder überall Mauern sind, die man nicht überwinden kann, nur weil Behinderte in Sonderwelten gehören… Meine Tochter sei da so schön aufgehoben mit glitzerndem Allerlei und buntem Spielzeug, mit dem sie nichts anfangen kann, denn sie braucht die richtige Welt, keinen Schein und keine Sonderwelt. Wissen die, die uns so etwas antun, überhaupt, was sie tun, sie zerstören Leben, zertrampeln die Hoffnungen mit ihren Stiefeln, die man natürlich nicht sehen kann, denn sie sind schlau und haben „verborgene“ Stiefeln und erzählen falsche Versprechungen. Sehen die, die so tun, als ob: Als ob, es sich in einer Welt, die nichts als Lüge ist, gut leben ließe, als ob…, sehen die unsere Not? Hoffentlich spüren sie bald unsere geballte Wut, die sich dann verwandelt: von einer kleinen Revolte zu einer Revolution.

Von Sirstone

"Es darf keine Kosten verursachen, diese Abart der menschlichen Rasse. Sie liegen die ganze Zeit nur auf den Taschen der Leute, welche eine Arbeit ausführen und als Stütze der Gesellschaft dienen!"

So könnte man wohl (sehr spitz) denken, so sei die Meinung oder die Wahrheit? Der Gedanke von Inklusion und Gleichberechtigung vor dem Gesetz klingt gut, wohl zu gut.

Wenig ist die Jahre und Jahrzehnte geschehen. Erst vernichtete man Uns und vollzog Experimente, später brachte man Uns nur noch menschenunwürdig unter und experimentierte weiter an Uns. Heute zwingt man Uns zur unterbezahlten Arbeit und sieht sich als tolle und weltoffene Gesellschaft.

Fakt ist: So wenig hat sich bewegt, in einer Welt aus wenigen Lobbyisten, welche für uns argumentieren. "Der Behinderte darf nichts kosten, sein Wille ist egal", so könnte wohl ein Motto von Politikern und der Gesellschaft lauten. Die Lobby für Menschen mit Beeinträchtigungen ist gering und bräuchte ein neues Feuer. Energie um den Kampf aufrechtzuerhalten, einen Kampf ums Mensch sein.

Wir wollen leben, arbeiten und genießen, wie alle anderen Menschen auch. Doch selbst die "Behinderten" sind sich kaum einig und jede Gruppe kämpf selbst.
Nur zusammen und mit voller Kraft könnten wir etwas verändern.

Bei Skandalen schauen die Medien schnell hin und einzelne Ereignisse kommen an Licht, doch alles ist wohl nur ein kleiner Teil des Eisberges.

Sonderwelten gehören abgeschafft und mittelfristig muss sich das System verbessern, doch wer zieht mit und zeigt: so nicht mehr!?

Mit Inklusion schmückt man sich gerne: Zur Wahl unf kurz davor. Nach dem Kreuz, war alles vergessen.

Die Politik ignoriert unsere Menschenrechte und die Gesellschaft schaut zu, mehr noch... Inklusion an Schulen? Das will man nicht, die "Behinderten" sollen die normalen Kinder nicht stören.

Aus mir spricht schon manchmal die Wut...

Von Gisela Maubach

Bestätigt wird "die allgegenwärtige Hymne der sich-selbst-erhöhenden Behindertenselbsthelfer" übrigens dadurch, dass sogar Vorzeigeprojekte nur mit dem von Herrn Hentschel erwähnten "etablierten Behindertenhilfesystem" möglich sind.

Mir sind mehrere Wohngruppen bekannt, die bereits bestehen oder gerade geplant werden und als angebliche Inklusionsprojekte hohes Ansehen genießen.
Bedingung, um in einem dieser Wohnobjekte einen Platz bekommen zu können, ist jedoch AUSNAHMSLOS der Besuch einer WfbM!!!

Wer keine WfbM besucht, bekommt auch keinen Platz in einem inklusiven Wohnprojekt!
Das sagt doch eigentlich alles über das "etablierte Behindertenhilfesystem" . . .

Von Gisela Maubach

Vorgestern habe ich an einer Veranstaltung teilgenommen, bei die Geschäftsführerin der Lebenshilfe betont hat, dass man bei den dortigen Bewohnern von "Wohnkunden" redet!
Das Wort Heim wird also aus der Formulierung gestrichen!

Und das ist nur ein Beispiel von vielen, die die ganze Schönrederei und Scheinheiligkeit erkennen lassen . . . wenn man sie denn erkennen will.

Der inflationär verwendete Begriff "Inklusion" wird mittlerweile so viel missbraucht, dass es schon niemandem mehr auffällt, dass er auch auf den Fahnen der größten Ausgrenzer weht.

Und wenn "kirsti" von der "allgegenwärtigen Hymne der sich-selbst-erhöhenden Behindertenselbsthelfer" spricht, dann macht das doch die gänzlich fehlende Solidarität erst deutlich, denn nachdem vor drei Tagen im ZDF die Mutter eines schwerstmehrfach-behinderten jungen Mannes den Wunsch ausgesprochen hat "Mein Wunsch ist, dass er vor mir geht", haben mir schon mehrere Eltern erklärt, dass sie genauso denken.

In dem Wort Behindertenselbsthilfe scheint die Betonung auf "selbst" zu liegen, denn wer dazu nicht in der Lage ist, ist davon bisher ausgeschlossen.
Anders lässt es sich z.B. nicht erklären, dass das Wort "Pooling" grundsätzlich keine Anwendung findet, wenn Menschen sich nicht selbst vertreten können und mit jeder Selbstverständlichkeit unter sich verwahrt werden - ohne dass der jeweilige individuelle Bedarf überhaupt erfragt wird.
Und diesem Extrem-Pooling wird dann sogar noch ein Name verpasst, in welchem immer das positiv besetzte Wort "Teilhabe" enthalten ist.

Solange die Träger von Sondereinrichtungen gleichzeitig als Interessenvertreter ihrer "Wohnkunden" fungieren dürfen, wird sich an dem etablierten System auch nichts ändern . . .

. . . Hauptsache, es klingt gut, was auf der Fassade steht!

Von Lothar Schwarz

Ich bin Pfleger einer Schwerstbehinderten und selbst zu 50 % behindert.

"Zersplitterte Behindertenbewegung". Diesen Begriff des Herrn Dirk Hentschel möchte ich aufgreifen um etwas auszusagen, wodurch sich tatsächlich nichts verändert. Wobei: Wenn man die Grundrechte aus unserer Verfassung einmal genauer anschaut, muß feststellen, dass wenn sich die Politik daran halten würde bzw. daran gehalten hätte wir heute eine ganz andere Gesellschaft wären !

Das Schlimme an der von Herrn Hentschel gemachten Aussage: Es hat sich eingebürgert, dass sich Konzerne, Milliardäre etc. nur mit dem Finger zu schnippen brauchen, die Politiker sehr aktiv werden. Bei Problemen, Sachthemen, die ganze Menschengruppen betreffen, auch Pflegende Angehörige ist festzustellen, dass seit nunmehr Jahrzehnten nicht ein langsames Fortkommen, sondern im Gegenteil durch Infaltion etc. ein Negativergebnis abzeichnet, das sich gewaschen hat ! Das ist die unverblümte Wahrheit, die aber leider auch von Spitzenfunktionären in so manchen Sozialverbänden etc. kaum mehr anprangern. Und wenn und diese Beobachtungen haben wir hier auch gemacht wird den jeweiligen Mitgliedern wie in der Politik angebliche Erfolge präsentiert, während man bei Gesprächen oft genug Bücklinge macht vor den "Mächtigen" ( wie sie immer dargestellt werden und auch dies ist nicht konform mit der Verfassung, nachdem die Macht vom Volk auszugehen hat und eben nicht von Einzelpersonen ! ).

Die Solidarität, ein Thema für sich. Manche glauben und das wissen wir aus eigener Erfahrung, glauben, "die da oben machen das schon". Welch ein Trugschluss. "Die da oben" reagieren nur noch auf massiven Druck aus dem Volk. Übrigens hat das nichts aber auch gar nichts mit Demokratie zu tun, die auch einen Gleichbehandlungsgrundsatz in den Grundrechten aufführt. Wie geschrieben: Würde man sich daran halten, sähe unsere Gesellschaft heute vollkommen anders aus ! Und wir hier meinen: Ökologischer, menschlicher, besser !

Von kirsti

Und wenn man die „kobinet- Nachrichten“ liest, überwiegt die „Freude“ über Preise hier und Laudatio dort über das Erreichte und Errungene! Wer wollte da nicht einstimmen in die allgegenwärtige Hymne der sich-selbst-erhöhenden Behindertenselbsthelfer. Dieses Selbstlob hört sich an, wie die „Ode an die Freude“ von Friedrich Schiller, vertont von Beethoven; ist bei Lichte besehen aber lediglich ein billiger Abklatsch, der sowohl der UN-BRK als auch dem Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes niemals gerecht wird.

Von Dirk Hentschel

DANKE Herr Frickenhaus!

Schon mit der Kolumne davor haben sie deutlich ausgesprochen woran der so nötige "Umbruch" in der "Bewegung der Menschen mit Behinderungen" scheitert bzw. was zu tun ist.

Hier finde ich nun die Fortsetzung - eindeutig auf den Punkt gebracht!

Meine Erkenntnis der letzten 5 Jahre ist, das das "etablierte Behindertenhilfesystem" aus sich heraus sich nicht ändern wird (kann), sondern alles dafür gibt, um erhalten zu bleiben. Hierzu bekommt sie die nötige Schützenhilfe aus der Politik der Lobby sei Dank ......

Ein Beispiel?

Wer gestern Abend den TV Beitrag über den Gerichtsprozess gesehen hat, erlebte einen (in Höchstform) paternalistischen Schuldirektor der (natürlich ungewollt) mit seinen Aussagen ein erstklassiges Beispiel abgibt wie das "System tickt"!

Leider haben wir eine zersplitterte Behindertenbewegung .....

Ich frage mich, wie soll da etwas erreicht werden?

MfG

Dirk Hentschel