Noch 63 Tage bis zur Bundestagswahl

Veröffentlicht am von Ottmar Miles-Paul

Stephan Heym
Stephan Heym
Bild: LAG Selbsthilfe RLP

Mainz (kobinet) Heute sind es noch 63 Tage bis zur Bundestagswahl. Die kobinet-Nachrichten sprachen mit dem Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Behinderter Rheinland-Pfalz über die Barrierefreiheit für blinde und sehbehinderte Menschen und seine Beweggründe für die anstehende Wahl.

kobinet-nachrichten: Wenn am 22. September Bundestagswahl ist, gehst du da hin und wie machst du das als Sehbehinderter mit der Wahl?

Stephan Heym: Seit der Bundestagswahl im Jahr 2002 haben blinde und sehbehinderte Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit, selbstbestimmt und ohne fremde Hilfe mittels Wahlschablonen wählen zu gehen. Mit diesen Stimmzettelschablonen werden erläuternde Begleitinformationen über den Aufbau und die Reihenfolge der zu wählenden Personen oder Parteien in Hörformaten, Punktschrift oder Großdruck dem Wähler übergeben. Wie viele Blinde und Sehbehinderte werde auch ich eine solche Wahlschablone beim für mich zuständigen Landesblinden- und Sehbehindertenverband Rheinland-Pfalz bestellen und von meinem Wahlrecht aktiv Gebrauch machen. Ich betrachte die Wahl als Möglichkeit, meinem politischen Willen Ausdruck zu verleihen.

Leider ist es aber nicht allen Menschen mit Behinderungen möglich, das im Grundgesetz verankerte Wahlrecht auszuüben. Zum einen gibt es Bürgerinnen und Bürger, wie zum Beispiel unter Vollbetreuung stehende Menschen, die nach wie vor vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Zum anderen gibt es Barrieren, die eine selbstbestimmte Wahl in einem Wahllokal erschweren bzw. verhindern. Dabei sind nach Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention alle Vertragsstaaten verpflichtet, Menschen mit Behinderungen alle politischen Rechte zu garantieren sowie angemessene Maßnahmen zu treffen, damit diese Rechte auch tatsächlich ausgeübt werden können. Hier sollte aus meiner Sicht nachgebessert werden, um wirklich jedem Bürger und jeder Bürgerin die Ausübung des Wahlrechts zu ermöglichen.

kobinet-nachrichten: Was erhoffst du dir von der Bundestagswahl und dem neu gewählten Deutschen Bundestag?

Stephan Heym: Ich erhoffe mir von der künftigen Bundesregierung, dass sie ihre Blockadehaltung gegenüber einem Vorschlag der EU-Kommission zur 5. Antidiskriminierungsrichtlinie aufgibt und somit den zivilrechtlichen Schutz vor Diskriminierung aufgrund einer Behinderung verbessert. Ich erhoffe mir, dass sie die UN-Behindertenrechtskonvention als geltendem Menschenrecht in all ihren Handlungsfeldern und Facetten umsetzt und somit zu mehr Gleichstellung, Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen beiträgt. Weiterhin erhoffe ich mir für die kommende Legislaturperiode, dass der Bundestag den vom Forum behinderter Juristinnen und Juristen vorgelegten Entwurf für ein Gesetz zur Sozialen Teilhabe ernsthaft prüft, diskutiert und verabschiedet. Der Entwurf fordert unter anderem die einkommens- und vermögensunabhängige Gewährung von notwendiger Assistenz. Derzeit übernimmt der Staat die Kosten für diese nur dann, wenn der Mensch mit Behinderungen auf Hartz-IV-ähnlichem Niveau lebt. Wer Geld verdient, mehr als 2.600 Euro gespart oder geerbt hat, muss die Kosten selbst tragen. Das Einkommen und Vermögen von Ehepartnern fließt in diese Berechnung mit ein. Dies stellt für mich grade in Zeiten einer geltenden UN-Behindertenrechtskonvention eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen dar und bedarf somit einer gesetzlichen Neuregelung.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.