Gedanken zur Fachtagung zum Peer Counseling

Veröffentlicht am von Christian Mayer

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Bild: Autonom Leben

Hamburg/Köln (kobinet) Evelyn Schön und Sabine Schulze von Autonom Leben Hamburg haben an der Fachtagung "Partizipation und Selbstbestimmung – Peer Counseling auf den Weg gebracht" des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) am 3. Juni in Köln teilgenommen und im Nachgang dazu ihre Gedanken und Kritik in einem Schreiben von Autonom Leben formuliert.

Von Evelin Schön und Sabine Schulze

Mit freudiger Erwartung fuhren wir zu einer Tagung des LVR nach Köln. In einer Ankündigung der Tagung in den kobinet-nachrichten lasen wir, dass der LVR zehn Peer Counseling Projekte für drei Jahre fördert und von der Uni Kassel wissenschaftlich begleiten lässt. Vor Ort stellten wir dann fest, dass alle MitarbeiterInnen der wissenschaftlichen Begleitung nichtbehindert sind.

Welch ein Erfolg für die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung, dachten wir stolz, da das Peer Counseling in Deutschland als pädagogische Methode der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung gilt. Wir arbeiten seit Jahren als ausgebildete Peer Counselorinnen und führen Schulungen in Peer Counseling durch. Im Fachvortrag von Georg Theunissen wurde den Teilnehmern und Teilnehemerinnen zunächst Peer Counseling und die Selbstbestimmt Leben Bewegung erklärt. Wir fragen uns, warum dieses von einem nichtbehinderten Professor sein muss, wenn es unter den ausgebildeten Peer Counselors ebenfalls Professorinnen gibt. Warum wurden nicht VertreterInnen von bifos, dem Bildungs- und Forschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter als ReferentInnen eingeladen? bifos bildet seit Jahren in einer umfangreichen Weiterbildung Peer CounselorInnen aus.

Bei der Vorstellung der geförderten Projekte wurde sehr schnell deutlich, dass vor allem nichtbehinderte Profis in einigen Projekten das Sagen haben. Nichtbehinderte Profis bilden Menschen mit Lernschwierigkeiten zu Peer Counselors aus. Peer Counseling Beratungen werden im "Tandem" durchgeführt. Ein Mensch mit Lernschwierigkeit und ein nichtbehinderter Profi beraten zusammen. Diese Beratungsform ist kein Peer Counseling. Grundlagen des Peer Counseling werden völlig außer acht gelassen.

Am Ende der Tagung mussten wir eine ernüchternde Bilanz ziehen: Mein Abschlußstatement, dass ich Zweifel habe, ob alle Projekte Peer Counseling anbieten, wurde mit betretenem Schweigen aufgenommen. Die wissenschaftliche Evaluation muss sich mit den Grundlagen des Peer Counseling auseinandersetzen, um überhaupt eine Beurteilung vornehmen zu können.

Der Begriff Peer Counseling wird von traditionellen Trägern der Behindertenhilfe übernommen ohne die Grundlagen zu kennen und das Anliegen der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung auch inhaltlich zu vertreten. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Selbsterhaltung der Institutionen und Erhalt der hierarchischen Strukturen innerhalb der Gesellschaft.

Mit der Förderung der Projekte schwächt der LVR die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung nicht nur in Nordrhein-Westfalen, wenn andere Kostenträger oder traditionelle Träger auch auf die Idee kommen, Peer Counseling in dieser Form umzusetzen bzw. fördern zu wollen. Wir Peer CounselorInnen der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung müssen aufpassen, dass Peer Counseling nicht verwässert wird. Außerdem besteht die Gefahr, dass uns die Definitionsmacht von Kostenträgern und nichtbehinderten Professionellen genommen wird. Nichtbehinderte Professionelle haben im Bereich Peer Counseling nichts verloren.

Lesermeinungen zu “Gedanken zur Fachtagung zum Peer Counseling” (1)

Von Gisela Maubach

Ein bedeutendes Zitat aus dem Beitrag:

"Der Grund dafür liegt auf der Hand: Selbsterhaltung der Institutionen und Erhalt der hierarchischen Strukturen innerhalb der Gesellschaft."

Im Schwerstbehindertenbereich wird zur Selbsterhaltung der Institutionen sogar die Aussonderung in große "heilpädagogische" Gruppen als "Teilhabe" bezeichnet.

In NRW will man uns allen Ernstes das Märchen verkaufen, dass es für geistig schwerstbehinderte (arbeitsUNfähige) Menschen ein Vorteil wäre, wenn man sie als "werkstattfähig" einstuft und ihre Eingliederungshilfe "Teilhabe am Arbeitsleben" nennt.

Abgesehen davon, dass aufgrund des besseren Betreuungsschlüssels in den Tagesförderstätten der anderen Bundesländer die Gruppen in aller Regel deutlich kleiner sind, so dass dort eine individuellere Betreuung möglich ist, bedeutet der Name der Finanzierung in den NRW-Werkstätten ("Teilhabe am Arbeitsleben") für arbeitsUNfähige Menschen, dass für sie die Leistung als Persönliches Budget ausgeschlossen ist!
Die Teilhabe am Arbeitsleben hat nämlich Vorrang vor der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Das bedeutet, dass ein arbeitsUNfähiger Mensch, für den Eingliederungshilfe als "Teilhabe am Arbeitsleben" in einer WfbM gezahlt wird, keine Chance auf Eingliederungshilfe für eine Tagesstruktur außerhalb einer WfbM hat.
Und da die Träger der Werkstätten mit den Interessen-Verbänden identisch sind, findet hier noch eine viel extremere "Selbsterhaltung der Institutionen" statt.
Wenn die Träger die Einrichtungsgebundenheit der Geldleistungen mit Qualitätssicherung begründen, dann mögen sie bitte mal erklären, welche "Qualität" für einen einzelnen geistig schwerstbehinderten Menschen möglich ist, der sich mit 12 weiteren Schwerstbehinderten in einem Raum befindet.

Diese Form der Schwerstbehinderten-unter-sich-Betreuung ist aufgrund von (durchaus ausreichenden) Geldleistungen an die WfbM eine ganz entscheidende Betreuungsform zur Selbsterhaltung der Institution.
Und das lässt sich auch nicht schönreden, indem man dieser Ausgrenzung den hübschen Namen "Teilhabe am Arbeitsleben" gibt.
Ausgrenzung bleibt Ausgrenzung - egal wie sie offiziell heißt.