Empowerment bedeutet, sich zu Wort melden

Veröffentlicht am von Christian Mayer

Empowerment-Übung
Empowerment-Übung
Bild: Siegurd Seifert

Erfurt (kobinet) Empowerment hat für behinderte Menschen und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention eine wichtige Bedeutung. Ein Aspekt davon ist, dass sich behinderte Menschen selbst zu Wort melden. Wie das funktionieren kann, wurde am Wochenende bei der Empowerment Schulung "Stärker werden und etwas verändern!" in Erfurt praktisch geübt.

Los ging es mit einer Veranstaltung im Landtag von Thüringen, wo die TeilnehmerInnen der von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) angebotenen und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderten Empowerment Schulung ihre Projekte vorstellen konnten, die sie im Rahmen der vierteiligen Schulung voran treiben. Zudem lernten sie die Arbeitsweise des Landtages kennen und wie man sich in die Politik dort einmischen kann.

Am Samstag besuchte der Journalist Siegurd Seifert den Schulungskurs und es wurden Schlagzeilen entwickelt und besprochen. Denn eine gute Überschrift ist das A und O für gute Presseinformationen, wie den TeilnehmerInnen der Schulung sehr schnell deutlich wurde. Weiter ging es mit den fünf "Ws" in der Öffentlichkeitsarbeit, also wer macht was, wann, wo und warum. Eine Stadtführung am Samstagnachmittag durch die Erfurter Innenstadt, die durch ein Filmteam begleitet wurde, und die Durchführung einer Talkrunde am Sonntag bildeten den weiteren Rahmen für den intensiven Schulungskurs. Deutlich wurde, "wenn behinderte Menschen sich nicht selbst zu Wort melden, wird vieles wohl auch nicht in unserem Sinne gemacht".

Lesermeinungen zu “Empowerment bedeutet, sich zu Wort melden” (6)

Von Gisela Maubach

Sehr geehrter Herr Schmidt,

besten Dank für Ihre Rückmeldung.
Dazu ist noch anzumerken, dass die NRW-Praxis von den Verbänden ja auch für die anderen Bundesländer gefordert wird, so dass auch dort die Löhne aller Werkstatt-Beschäftigten sinken würden, wenn auch dort die Tagesförderstätten in Werkstätten umbenannt würden und der erwirtschaftete Gewinn der Werkstatt dadurch auf 20 % mehr Menschen verteilt werden müsste.

Und im Sinne von Inklusion wäre es auch notwendig, dass die Einrichtungsgebundenheit bei der Tagesstruktur von geistig schwerstbehinderten Menschen auf den Tagesordnungen der behindertenpolitischen Veranstaltungen erscheint.
Da dieses Ausgesondert-Sein per Gesetz ja nun hinreichend bekannt ist, ist ein gutes Teilhabegesetz überhaupt nicht möglich, solange man dieses Thema in den behindertenpolitischen Berichterstattungen ausgrenzt und den ohnehin schon belasteten Angehörigen die Aufgabe allein überlässt, immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass es auch Menschen gibt, die sich nicht selbst vertreten können und die sich nicht zu Wort melden können.

Die zunehmende Gleichmacherei gibt mir auch zunehmend das Gefühl, dass man die wirklichen "Barrieren" von geistig schwerstbehinderten Menschen kaum noch wahrnimmt.
Wenn ein Mensch, der wegen seiner geistigen Schwerstbehinderung ununterbrochen beaufsichtigt und betreut werden muss, offiziell "Arbeitnehmer" genannt wird, erlebe ich nur fragende Blicke innerhalb des Bekanntenkreises, und ich wurde schon des öfteren gefragt, um welche Form der "Arbeit" es sich denn handeln würde.
Die Windeln, die ich wegen der Inkontinenz in die Werkstatt mitgeben muss, heißen in der Werkstatt-Sprache auch nicht Windeln - sondern "Schutzhosen".
Und unter "Assistenz" habe ich mir bisher auch immer etwas anderes vorgestellt als meine jetzige Betreuungstätigkeit - wenn ich z.B. meinen Sohn daran hindern muss, vollbekleidet in die Badewanne zu klettern und am Wasserhahn zu drehen.

Die behindertenpolitische Sprache entfernt sich immer mehr von der Vielfalt, denn wenn durch sprachliche Gleichmacherei die wirklichen Probleme von geistig schwerstbehinderten Menschen nicht mehr zur Kenntnis genommen werden, entfernen wir uns auch immer mehr vom Ziel einer wirklichen Inklusion.

Mit hoffnungsvollen Grüßen
Gisela Maubach

Von Sabine Fichmann

Träger von Einrichtungen dürften grundsätzlich an Beratungen zum Bundesteilhabegesetz nicht beteiligt werden. Hier besteht ein Interessenskonflikt zu Lasten der Behinderten, insbes. der erwerbsunfähig Behinderten.

Von Jürgen Schmidt

Sehr geehrte Frau Maubach,

vielen Dank für die ausführliche und treffende Schilderung des Problems. Ich bin da ganz bei Ihnen und kann das von Ihnen Gesagte nur unterstreichen. Leider kenne ich mich in den Gegebenheiten in NRW nicht so aus, kann also nur für Thüringen sprechen. Mir ist bekannt, dass die "Interessengemeinschaft selbstbestimmt Leben" in Jena sehr aktiv ist und sich auch der Thematik Inklusion und Werkstatt sehr widmet. Vielleicht wäre das eine Adresse, unter der Sie "Verbündete" finden können. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg und uns einen langen Atem.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Schmidt

Von Gisela Maubach

Sehr geehrter Herr Schmidt,

warum geistig schwerstbehinderte Menschen nicht wirklich vertreten sind, ergibt sich eigentlich schon aus meinem ersten Leserbrief, da ich hier im Zusammenhang mit "Vertretung" bereits die Verbände erwähnt habe, die auch gleichzeitig Träger der Sondereinrichtungen sind.

Wenn in "Inklusionsbeiräten" von Städten oder Landkreisen Mitglieder aus Werkstatt-Geschäftsführungen sitzen, in deren Werkstätten mehrere Gruppen mit jeweils 12 oder 13 geistig schwerstbehinderten Menschen innerhalb eines Raumes betreut werden, kann ich aufgrund des Interessenkonflikts keine wirkliche Vertretung der von mir beschriebenen Personengruppe erkennen.

Für diesen Personenkreis existiert bisher keinerlei Plan für eine selbstbestimmte Tagesstruktur, und mir ist keine Interessenvertretung bekannt, die dieses Ziel tatsächlich verfolgt.
Das einzige bisher erklärte Ziel ist die Aufhebung des Unterschiedes zwischen "werkstattfähig" und "nicht werkstattfähig".
Wenn dieser Unterschied aufgehoben würde, klingt es zwar hübsch, wenn auf dem Papier keine "nicht werkstattfähigen" Menschen mehr existieren würden, aber damit wäre die Werkstatt-Pflicht (mit großen Schwerstbehinderten-Gruppen) einzementiert.
Wie in NRW bereits praktiziert, werden auch für arbeitsUNfähige Menschen mit Behinderung "Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben" als "Eingliederungshilfe" an die Werkstätten gezahlt, was nichts anderes bedeutet, als dass sie in eigenen Gruppen in eigenen Räumen unter sich betreut werden - also genau das Gegenteil von Inklusion.
Das Persönliche Budget ist für diese Menschen ausgeschlossen, weil es ja das Persönliche Budget für Arbeit (!) sein müsste, und für arbeitsUNfähige Menschen ist die WfbM nun mal der einzig mögliche "Arbeit"geber.
Und da Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben immer vorrangig vor Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind, ist die Werkstatt für diese Menschen also die einzig mögliche Tagesstruktur. Gleichmacherei führt für geistig schwerstbehinderte Menschen also zur Einrichtungsgebundenheit, woran die Träger der Einrichtungen auch ein eigenes Interesse haben, denn je schwerer die Behinderung, desto höher ist die Eingliederungshilfe, die die Werkstatt bekommt.
Und je mehr arbeitsUNfähige Menschen in der Werkstatt betreut werden, desto geringer wird der Lohn für diejenigen, die in der Werkstatt die Löhne erwirtschaften müssen, denn der Gewinn muss auf alle (!) Menschen in der Werkstatt aufgeteilt werden.

Wenn Sie mir einen Verband oder eine Selbsthilfegruppierung nennen würden, die das Ziel der Selbstbestimmung und der Abschaffung der Einrichtungsgebundenheit auch für diese Menschen verfolgt, die sich nicht selbst vertreten können, wäre ich sofort dabei.

Und die große Portion Ausdauer ist durchaus vorhanden, denn ich bin schon diverse Marathons gelaufen und habe noch nie einen aufgegeben . . .

Von Jürgen Schmidt

Sehr geehrte Frau Maubach,

mit Interesse habe ich Ihren Beitrag gelesen. Ich bin Vorsitzender des Behindertenverbandes des Landkreises Schmalkalden-Meiningen, 50 Jahre alt, querschnittsgelähmt, verheiratet und röm.-kath. Ich stimme Ihnen zu wenn Sie schreiben, dass Inklusion alle angeht. Wir können keine Inklusion verlangen, wenn wir sie nicht leben. Inklusion bezieht sich nicht auf eine bestimmte Behinderung oder Krankheit. Sie betrifft alle Bereiche des täglichen Lebens und hat zum Ziel, selbstbestimmt und uneingeschränkt daran teilzunehmen.
Leider kann ich Ihren Zeilen nicht entnehmen, warum Sie sich davon ausgeschlossen und nicht vertreten fühlen. Gibt es in Ihrer Nähe keinen Verband oder keine Selbsthilfegruppe, an die Sie sich wenden können? Unser Verband arbeitet aktiv im Behindertenbeirat der Stadt Meiningen und im Behindertenbeirat des Landkreises mit. Da treffen sich Behindertenverbände, Selbsthilfegruppen, soziale Verbände und Vertreter der Fraktionen, um gemeinsam zu überlegen, wie wir unsere Forderungen umsetzen können. Wir haben dabei besonders die UN-Behindertenrechtskonvention im Auge und legen unseren Schwerpunkt auf die Umsetzung dieser. Nun gilt es, einen Aktionsplan zu erarbeiten, der die Maßnahmen enthält, die notwendig sind, die Konvention in unserer Region zu verwirklichen. Das ist noch ein langer Weg und wird sich noch auf die kommenden Jahre erstrecken. Auch dabei sind das Wissen der Einzelnen und Ihre Erfahrungen gefragt. Ich möchte Ihnen Mut machen! Beteiligen Sie sich in Ihrem Wohnort an diesem Prozess! Bringen Sie Ihre Meinung mit ein! Dabei sein "dürfen" alle. Im Gegenteil: Nur gemeinsam sind wir stark! Helfen Sie uns, dass die Inklusion zu keiner "Mogelpackung" wird!
Ich wünsche Ihnen und allen Mitstreitern viele Erfolge und eine große Portion Ausdauer!

Von Gisela Maubach

"Ein Aspekt davon ist, dass sich behinderte Menschen selbst zu Wort melden. Wie das funktionieren kann, . . ."

Zitat-Ende

Leider wird immer noch nicht berücksichtigt, dass es auch Menschen gibt, die selbst mit der besten Empowernent-Schulung nicht "stärker werden" können, um sich selbst "einzumischen".

Diese Menschen bleiben bei der Themenauswahl nach wie vor ausgeschlossen und ohne wirkliche Vertretung, denn wer vertritt diese schwerstbehinderten Menschen bisher (abgesehen von den Verbänden, die auch Träger der Sondereinrichtungen sind)?

Das Zitat "wenn behinderte Menschen sich nicht selbst zu Wort melden, wird vieles wohl auch nicht in unserem Sinne gemacht" . . . trifft vor allem in der Behinderten-Selbsthilfe den Nagel auf den Kopf, denn wenn behinderte Menschen soooo behindert sind, dass sie nicht in der Lage sind, sich selbst zu Wort zu melden, werden sie tatsächlich konsequent ignoriert.

Es bleibt abzuwarten, wie lange man das Ziel für diese Mogelpackung noch Inklusion nennen kann, wenn immer nur diejenigen dabei sein dürfen, die es schaffen können, "stärker" zu werden.