Kriegsheldin qQuiche kommt aus Tierheim

Veröffentlicht am von Ottmar Miles-Paul

Ottmar Miles-Paul
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Bild: Irina Tischer

Kommentar von Ottmar Miles-Paul

Viernheim (kobinet) Die Geschichte der fast siebenjährigen Hündin qQuiche, die 2013 im Spezialeinsatz in Afghanistan war, dort rund 2,5 Tonnen Explosivstoffe in neun Monaten gefunden und damit etlichen US-Soldaten das Leben gerettet hat, geht derzeit durch die Medien. Denn das Tier ist in einem hessischen Tierheim gelandet. Die Tatsache, dass die Hündin nach einer Facebook-Aktion nun frei und medienwirksam wieder in die USA kam, hat kobient-Redakteur Ottmar Miles-Paul zu einem Kommentar veranlasst.

Link zum Artikel über die Hündin in der WAZ

Ja, es ist herzzerreißend und ungerecht, wenn Tiere in Tierheimen untergebracht werden müssen, weil sich ihre BesitzerInnen aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr um ihre Tiere kümmern bzw. kümmern können und nirgends sonst unterkommen. Denn in Tierheimen herrscht trotz aller Bemühungen, auch vieler ehrenamtlich Tätiger, Enge, kein würdiger Lebensraum für die Tiere und meist hoher Anpassungsstress mit den vielen anderen eingesperrten Tieren an die institutionellen Gegebenheiten. Deshalb ist es gut, dass es einen öffentlichen Aufschrei gab und für die Hündin qQuiche nun endlich die Befreiung aus diesen unwürdigen Bedingungen erfolgte und sie hoffentlich tiergerecht ihren Lebensabend verbringen kann. Diese Geschichte erregte öffentliche Aufmerksamkeit, löste große Sympathien mit der Hündin aus und dient letztendlich als medienwirksame Geschichte zum Durchatmen, denn es wurde nun ja eine Lösung gefunden und die Odysee der Hündin hat ein Ende. Ob diese Geschichte dazu beiträgt, dass es auch für andere Tiere in Tierheimen, die keine Kriegshelden sind, Hoffnung gibt, bleibt abzuwarten.

Ja, die geneigten Leserinnen und Leser ahnen bereits die Übertragung der Geschichte von qQuiche, der Superspürnase und Kriegsheldin, auf die menschliche Natur und das was viele Menschen in Deutschland und der Welt erleben müssen, wenn sie abgeschoben werden, in sogenannte Heime, die nun meist gar nicht so heimelig sind. Matthias Grombach hat vor kurzem in den kobinet-nachrichten beschrieben, wie es für ihn war, mehrere Jahre in einem Altenheim leben zu müssen und Volker Mau schilderte eindrucksvoll, welche Sorgen er im sogenannten Betreuten Wohnen hatte, mit ständig wechselndem Personal und wenig Möglichkeiten am regulären Leben teilzunehmen. Hunderttausenden von älteren und behinderten Menschen bleibt hierzulande meist nur die eine Möglichkeit, in stationären Einrichtungen leben zu müssen. Sie müssen sich dort anpassen, gerade wenn sie einen höheren Hilfebedarf haben - und wie viele Geschichten zeigen, so manches hinnehmen, was Otto-Normal-Bürger im Alltag nie und nimmer mit sich machen ließe und Skandal rufen würde. Wo sind hier die Facebook-Aktionen? Wo bleiben die auf so breites Interesse stoßenden öffentlichen Erfolgsgeschichten und wo bleiben die Lehren, die wir daraus ziehen, dass ein Leben mitten in der Gemeinde und personenzentrierter Unterstützung Standard wird, statt sich den institutionellen Gegebenheiten hingeben zu müssen? Und wo sind diejenigen, die denjenigen entschlossen entgegen treten, die sagen, dass man das nicht vergleichen kann, dass es doch gar nicht mehr so schlimm ist wie früher und dass es ja auch gute Heime gibt und immer Heime geben muss? Wo sind all die?

Die vielfältigen Sonderwelten, die unsere Gesellschaft für all diejenigen, die sich nicht selbst helfen können und nicht das nötige Kleingeld haben, verhindern es weitgehend, dass wir in engeren Kontakt zu denjenigen kommen, die dort leben, lernen und arbeiten müssen. Unsere leistungsorientierte Gesellschaft mit all den Denkweisen, die wir dafür entwickelt haben, verhindert häufig eine tiefere Solidarisierung mit diesen Menschen. Kommen wir allerdings doch in engeren Kontakt und eine einfühlsame Beziehung mit Menschen, die in solchen Einrichtungen leben müssen, sind wir meist betroffen, was alles nicht so menschenwürdig funktioniert, was da auf Hochglanzbroschüren, Benotungen von 1,0 und ähnlichem wohlfahrtstreu propagiert wird. Dies wird dann aus unterschiedlichen Gründen verdrängt, schöner geredet, weil es ja "nicht anders geht" oder das Personal sich ja so aufopfert. Es bleibt aber bei der individuellen Geschichte, für die man um Verbesserungen ringt und wenn möglich, persönliches Geschick bzw. Beziehungen für den Einzelfall einsetzt. Der Alltag lockt dann jedoch schnell wieder, um das Erlebte, mit erlittene zu verdrängen. Der Blick auf das große Bild, auf die von massiven Interessen gesteuerte Wohlfahrsindustrie, die sich täglich mit schuldigt macht und ein menschenunwürdiges System mit ruhiger Hand am laufen hält, ja der Blick auf die aussondernden Gesetze, unnachvollziehbaren Finanzierungsstrukturen und die ungleiche Geldverteilung sowie auf die systematischen Menschenrechtsverletzungen in diesem Land, dieser Blick bleibt aber aus. Es gibt ja Wohltäter, die man angesichts ihres aufopferungsvollen Jobs besser nicht kritisiert und dann ist da ja das Geld, warum das wohl alles nicht anders gehen kann.

Für den Mann, dem der Hund von der US-Army in Obhut gegeben wurde, dürfte der Umgang mit einer Kriegsheldin Folgen haben. Wie das Tierheim dem Bericht in der WAZ zufolge inzwischen weiß, hatte der Armeeangehörige einen Vertrag unterschrieben, den Hund unter Strafandrohung keinesfalls abzugeben oder zu verkaufen. Nach Informationen des Tierheims ermitteln US-Stellen bereits gegen ihn, heißt es in der WAZ. Wo und wie wird gegen diejenigen ermittelt, die die Menschenrechte behinderter und älterer Menschen, aus welchen Gründen oder Zwängen heraus auch immer, tagtäglich mit Füßen treten, ermittelt?

Nicht einmal die offensichtlichen TäterInnen, die behinderten Menschen und Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen in Behinderteneinrichtungen und Psychiatrien in der Vergangenheit unermessliches Unrecht, Leid oder konkrete Mißhandlungen zugefügt haben, werden gezielt strafrechtlich verfolgt, geschweige denn belangt, sofern sie noch leben. Am Donnerstag findet wieder eine Anhörung in Berlin statt, ob diese Menschen ähnlich wie die ehemaligen Heimkinder endlich auch eine Anerkennung und Hilfe bekommen. Von Entschädigung wird da erst gar nicht gesprochen und bei der Anerkennung der nicht abgeführten Rentenzahlung für damals geleistete Arbeit ist geplant, die Arbeit behinderter und psychisch beeinträchtigter Menschen geringer auszugleichen als bei Heimkindern in den Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen. Statt bis zu 25.000 Euro sollen diejenigen aus Behindertenheimen und Psychiatrien maximal 5.000 - 7.000 Euro nach den derzeitigen Plänen bekommen. Wo ist der Aufschrei? Wo sind die Facebook-Aktionen? Wo die Erfolgsgeschichten?

 

Lesermeinungen zu “Kriegsheldin qQuiche kommt aus Tierheim” (1)

Von Sphinx

Lieber Herr Miles-Paul,
da wird es (leider vermutlich) keinen Aufschrei und keine 'Buch der Ges*chter'-Gruppe geben, die sich aufregt und ein Sit-In in einer Anstalt macht.
Das war zu erwarten.
Wie die große Masse der Beölkerung über Behinderte denkt und gegen sie handelt war und ist zu erahnen, dass plötzlich in der Wirtschaft Geld für Arbeits- und Ausbildungsplätze da ist, aber nicht für Behinderte; finanzielle Förderprogramme von höheren Bildungseinrichtungen und so weiter, jedoch nicht für Behinderte.
Der Fokus wurde von der bundesregierung weg von anderen Themata, wie Armut, Behinderte, chronisch Erkrankte, Eindampfen sozialer Leistungen wegbewegt hin zu der Ausländerproblematik, aber hier auch nur wieder zu bestimmten Themen der Ausländerproblematik.
Hinzu kommt, dass die Heimlobby stark ist und die Angst vor der eigenen (angeblichen oder tatsächlichen) Abhängigkeit von Assistenz durch Dritte, lässt viele Leute stumm bleiben.
Und man muss sich nichts vormachen:
In vielen Familien wird es als Erleichterung betrachtet, den Angehörigen 'untergebracht' zu wissen.
Deshalb wird nie jemand richtig was gegen diese Wohnsituation, die in den Anstalten für gewöhnlich herrscht, sagen.
Anstalten sind Arbeitgeber. Anstalten können zu Konzernen organisatorisch, finanziell und materiell gehören.
Anstalten haben Lieferant/innen, externe Dienstleister/innen. Hier sind Netzwerke vorhanden, die und deren Netzwerkakteur/innen vermutlich eher nicht bekämpft werden.
Und schließlich ist es interessant, dass niemand der sowieso schon medial gut aufgestellten, gleichwohl wenigen Behinderten eine Buch-der-Ges*chter-Gruppe hat, wo unterzeichnet werden kann.
Die Ursachen, weshalb den Einen mehr mediale Aufmerksamkeit geschenkt wird, als den Anderen, kann durchaus auch bei Behinderten selber gesucht werden.