Menschengerechte Strukturen in Werkstätten angemahnt

Veröffentlicht am von Ottmar Miles-Paul

Symbol Ausrufezeichen
Symbol Ausrufezeichen
Bild: ht

Winsen a.d. Aller (kobinet) "Menschenwürde in den Werkstätten braucht menschengerechte Strukturen", so titeln Prof. Dr. Heinrich Greving, Bernhard Sackarendt und Ulrich Scheibner von der virtuellen Denkwerkstatt einen Brief, den sie als Reaktion auf die Enthüllungen des Team Wallraff in RTL über die Zustände in Werkstätten für behinderter Menschen u.a. an die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Gabriele Lösekrug-Möller, gerichtet haben. Die kobinet-nachrichten dokumentieren den ihr vorliegenden Brief im folgenden:

Menschenwürde in den Werkstätten brauchen menschengerechte Strukturen

hier: Transparenz statt Undercover

in den letzten Tagen haben sich auch etliche Werkstattträger und einige Trägerorganisationen öffentlich über die menschenverachtenden Ereignisse geäußert, die das „Team Wallraff" in der RTL-Sendung am 20.02.17 über Werk- und Wohnstätten ans Licht gebracht hatte. Der Schock über diese Seite der Werkstattrealität, die in der Öffentlichkeit völlig unbekannt ist, und die Empörung über die Mißachtung der Menschenwürde im Werkstattalltag sitzen noch tief, nicht zuletzt bei den Werkstattträgern selbst.

Mit etlichen Werkstattleitungen stehen wir im Gespräch über diese Realität. Doch Sensationsmeldungen haben die Angewohnheit, schnell hinter neuen Sensationen zu verschwinden, wenn sich die erste Aufregung gelegt hat. Eine nur sensationsgestützte Aufmerksamkeit haben weder die mißhandelten Menschen verdient, noch die über 300.000 Werkstattbeschäftigten. Es ist eine verpflichtende Aufgabe der Politik, die Ursachen für eine solche Unmenschlichkeit aufzudecken und zu beheben, die einzelne Angestellte begehen, und es nicht bei der Individualisierung von Schuld zu belassen.

Hinter solchen extremen Mißhandlungen von Menschen, die letztlich als Leistungsberechtigte die materielle Existenz selbst ihrer Peiniger sichern, steht das bundesweite, sehr intransparente und in sich abgeschlossenes System von Sondereinrichtungen. Dazu gehört das Werkstättennetz mit seinen konkreten Strukturen. Hier verbringen nach regierungsoffiziellen Angaben 99,8 Prozent der Beschäftigten ihr gesamtes Arbeitsleben. Dafür sind die von der Bundesregierung und den Länderregierungen geschaffenen Werkstattstrukturen verantwortlich, in denen sich die Werkstattträger eingerichtet haben. Zu den Problemen, die durch diese Verhältnisse reproduziert werden, gehört ein verbreitetes Desinteresse an den menschenrechtlichen Normen, insbesondere im „Gesetz zum UNO-Übereinkommen über die Rechte behinderter Menschen" - GÜRbM. Einige wenige Beispiele, die eine wissenschaftliche Gesamtschau geradezu herausfordern, sollen das verdeutlichen:

- Zu den dringend reformbedürftigen Strukturen gehört, daß es im werkstattrelevanten Sozialrecht keine Bestimmung zugunsten der leistungsberechtigten Werkstattbeschäftigten gibt: Ob SGB IX, SGB XII oder die Werkstättenverordnung – sie alle zielen nur auf die Rechte der Organisationen und ihre Ausgestaltung, nicht aber auf die individuellen Rechte der Werkstattbeschäftigten und ihre Leistungsansprüche.

- Die gesetzliche Vorschrift über die „Freiheit von [...] grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe" (Artikel 15 GÜRbM) wird im Werkstatt- und Wohnalltag viel öfter übersehen, als das der Öffentlichkeit bekannt wird. Doch es sind nicht die sensationsträchtigen Übergriffe, die eine strukturbedingte Inhumanität charakterisieren. Es ist der unprofessionelle, scheinpädagogische und selbst Strafen einschließende Umgang mit den beeinträchtigten Menschen. Immer noch sind die Lebensbedingungen in zahlreichen Wohneinrichtungen und die werkstatttypischen Arbeitsbedingungen vom allgemein üblichen Standard weit entfernt. Wir sind gern bereit, Ihnen dafür Beispiele zu nennen.

- Die nach Artikel 3 GG, nach Artikel 2 und 5 des Gesetzes zum UNO-Übereinkommen verlangte Gleichberechtigung, Gleichbehandlung und gleiche Vorteilsnahme werden z. B. bezüglich der Rechtsstellung der Werkstattbeschäftigten weder von der Bundesregierung noch von den Werkstattträgern erfüllt (vgl. § 138 Abs. 1 SGB IX). Immer noch wird – vor allem aus fiskalischen Gründen – einem Großteil der Beschäftigten im Arbeitsbereich der Arbeitnehmerstatus verweigert. Fachleute schätzen den Personenkreis auf mindestens 60.000 Menschen.

- Immer noch wird den Werkstattbeschäftigten ein existenzsicherndes Einkommen vorenthalten und stattdessen ein bundesdurchschnittliches Arbeitsentgelt von nur 180 Euro monatlich gezahlt, für das selbst die Bezeichnung Taschengeld euphemistisch ist: rd. 1,30 Euro pro Stunde. Daran ändert das gesetzliche Arbeitsförderungsgeld aus öffentlichen Mitteln seit dem 1. Januar 2017 von 52 Euro monatlich nichts. Das Ziel, das sich die Bundesregierung schon 1974 in den „Grundsätzen zur Konzeption der Werkstatt für Behinderte" gegeben hatte, ist nach 43 Jahren immer noch nicht eingelöst: „Die Anwendung der Normen des allgemeinen Arbeitsrechts auf die Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisse ist schrittweise anzustreben" (BT-Drs. 7/3999, 1975, S. 7).

- Für eine zeitgemäße Qualifikation der Fachkräfte im Gruppendienst der Werkstätten (§ 9 WVO) gibt es seit 2001 eine Fortbildungsprüfungsverordnung, Ende 2016 aktualisiert (BGBl 2016 Teil I Nr. 61, 21.12.16, S. 2909 ff.). Doch eine Verpflichtung der Werkstattträger, diesen Qualifikationsstandard als Anerkennungsbedingung und fachliche Anforderung nachzuweisen, gibt es nicht. Die Werkstättenverordnung und die Prüfungsverordnung sind nicht miteinander verknüpft. So bleibt es bei der unzureichenden Halbbildung nach § 9 Abs. 3 WVO. Und aufgrund der seit 1996 praktizierten Finanzierungsrestriktion steht der Absatz 1 von § 9 WVO nur auf dem Papier:
(1) Die Werkstatt muß über die Fachkräfte verfügen, die erforderlich sind, um ihre Aufgaben entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen der behinderten Menschen, insbesondere unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer individuellen Förderung von behinderten Menschen, erfüllen zu können.

- Das Internet offenbart auch Nicht-Fachleuten die Misere, wenn man bereit ist, die Werkstattrealität zu akzeptieren: Hunderte Fotos aller möglichen Werkstattträger zeigen Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und Arbeitsabläufe, die man in den Anstalten des 19. Jh. vermutete. Solche bildungsfernen, repetitiven und mechanischen Arbeiten laufen den Ansprüchen an eine „sinnvolle Arbeit", eine bildungsorientierte Arbeit, zuwider. Sie sind pädagogisch unbedacht und stehen im Widerspruch zu den arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen und pädagogischen Anforderungen.

Die folgenden acht Beispiele von unzähligen anderen verdeutlichen das falsche Verständnis von Werkstattarbeit. Wir helfen gern bei der Bildauswertung. Hier sind die Internetadressen: (Strg+Mausklick links oder die Internetadressen in die Browserleiste eingeben, nicht ins Google-Suchfeld!):
https://goo.gl/8jdgTg
https://goo.gl/zAAA2x
https://goo.gl/ibp4mv
https://goo.gl/144b9r
https://goo.gl/MrXmt0
https://goo.gl/WR7b9U
https://goo.gl/8cAkzk
https://goo.gl/B2hl1r

- Der Werkstättenszene mangelt es auch an Transparenz und wirksamer Kontrolle. Obwohl sie bis zu 95 Prozent aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, hat die Öffentlichkeit keinen Einblick. Nur ausnahmsweise publizieren Werkstätten in der GmbH-Rechtsform aussagefähige Daten im Bundesanzeiger; nur wenige weisen z. B. die Höhe ihrer Arbeitsentgelte aus, die sie an die Werkstattbeschäftigten als „Werkstattlöhne" zahlen. Zudem umfaßt die Offenlegungspflicht nach dem Handelsrecht (§§ 325 ff. HGB) nicht die SGB IX-Vorschrift darzustellen, ob die aus öffentlichen Mitteln gezahlten Kostensätze tatsächlich kostendeckend sind (§ 41 Abs. 4 SGB IX). Viele Geschäftsberichte der Werkstätten sind uninformativ. So werden z. B. die aus dem Betriebsergebnis zu zahlenden Arbeitsentgelte der Beschäftigten („Werkstattlöhne") oft mit den öffentlich refinanzierten Lohnkosten der Angestellten summiert und auf diese Weise beide betriebswirtschaftlich wichtigen Fakten verschleiert.

- Der Eindruck drängt sich auf, daß weder die Politik noch die amtlichen Kostenträger an echter Transparenz im Werkstättenbereich interessiert sind. Nicht einmal dem Bundestag wird regelmäßig jährlich ein Lagebericht über die Entwicklung der Werkstätten vorgelegt, obwohl sie mit fast 3.000 Betriebsstätten und über 300.000 Beschäftigten das weitaus größte Sondergebiet sind, in dem beeinträchtigten Menschen Arbeit angeboten wird. Im jüngsten Teilhabebericht der Bundesregierung (BT-Drs. 18/10940, 2017, S. 191 ff.) beschränkt sich das Kapitel „3.4.3 Werkstätten für behinderte Menschen" auf nur zwei Seiten. Wir machen immer wieder darauf aufmerksam, daß Transparenz nach innen und außen Teil einer Unternehmensethik ist, die Einbeziehung und Teilhabe ebenso ernst nimmt wie die Rechenschaftspflicht. Sie ist auch für die Personalführung die Basis für Verläßlichkeit und Überprüfbarkeit. (siehe Greving, Heinrich | Scheibner, Ulrich (Hrsg.): Die Werkstattkonzeption: Jetzt umdenken und umgestalten. BHP-Verlag, Berlin 2014, S. 84 ff.)

- Werkstätten bilden eine Sonderwelt, auf die weite Teile der Definition zutreffen, die dem Bundestag seit 1997 vorliegt (BT-Drs. 13/8170, 1997, S. 71 ff.). Danach führen separierenden Bedingungen „zur Ausbildung einer nach außen möglichst isolierten, nach innen möglichst kompletten, ‚totalen' Sonderwelt, einer Insel" (ebd.). Seit ebenso langer Zeit ist die Bezeichnung „Subkultur" für die Werkstättenszene geläufig. Dieser Terminus wurde selbstkritisch und mahnend von führenden Werkstattrepräsentanten verwandt. Die Bundesregierung hat solche kritischen Stimmen, die tiefgreifende Reformen einfordern, bis heute unbeachtet gelassen, wie das Bundesteilhabegesetz zeigt.

- Zudem ignorieren Bundesregierung und Länderregierungen die Ratschläge aus dem Kreis der UNO-Fachleute und die Auffassung einer wachsenden Anzahl von Werkstattexperten, diesen Einrichtungstypus schrittweise aufzulösen. Das muß nach unserer Meinung nicht nach dem Muster von Großbritannien und der Abschaffung der dortigen Remploy-Werkstätten geschehen. Ein inklusionsgerechter Umbau der Werkstätten in Deutschland ist durch eine couragierte Reformpolitik möglich, die neue Werkstattstrukturen i. S. des Gesetzes zum UNO-Übereinkommen schafft. Dafür liegen bereits Vorschläge vor, die wir gern um wirksame Rechte für die Beschäftigten ergänzen.

- Die in der Wallraff-RTL-Reportage dargestellte Menschenverachtung ist in dieser extrem rohen Ausprägung gewiß eine Ausnahme. Aber Menschenverachtung äußert sich in anderen, weniger offensichtlichen Formen im Alltagsleben und Arbeitsalltag – auch in den Werkstätten. Sie bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Selbst Gäste aus der Politik, die die Werkstätten besuchten, haben nie Anstoß an solchen Arbeitsbedingungen genommen, die einer menschengerechten Arbeitsgestaltung widersprachen. Auch das ist auf Fotos im Internet nachvollziehbar, z. B. hier oder hier. Es fehlt oft der Blick dafür, wohl weil geglaubt wird, lächelnde Werkstattbeschäftigte wären eine Bestätigung der Werkstättenwerbung: „Wir bieten sinnvolle Arbeit."
Tatsächlich sinnvolle Arbeit ist ohne Bildung, ohne bewußte Persönlichkeitsentwicklung, ohne pädagogische Arbeitsvorbereitung und Arbeitsbegleitung nicht möglich. Daran fehlt es dem Werkstättensystem – auch deshalb, weil es dazu keine rechtlich bindenden Verpflichtungen gibt: Der notwendige Qualifikationsstandard der Fachkräfte gem. der Fortbildungsverordnung ist nicht mit der Werkstättenverordnung verknüpft. Und es mangelt an der erforderlichen Finanzierung.

Noch etwas ist bemerkenswert: Obwohl sich besonders die Selbsthilfeorganisationen seit langem gegen die Bezeichnung „Behinderte_r" wegen seines diskriminierenden Charakters wehren, firmieren etliche Werkstätten immer noch als „Behindertenwerk", „Behindertenwerkstätte" oder „Werkstatt für Behinderte". Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Menschenbild, das Bewußtsein und Handeln der Angestellten. Auch das gehört zur langen Liste wenig menschengerechter Strukturen.

Und das eine liegt auf der Hand: Wenn Gesetzgeber und Regierungen die Werkstattbeschäftigten nicht mit wirksamen Rechten ausstatten, sie nicht in ihrer Rolle als Dienstleistungsberechtigte rechtlich und finanziell unterstützen, kann man von ungenügend qualifizierten, oft unzureichend bezahlten Angestellten keine pädagogisch sinnvollen, am Gesetz zum UNO-Übereinkommen ausgerichteten Dienstleistungen erwarten. Wir hoffen auf Ihre Hilfe.

Mit besten Grüßen
Prof. Dr. Heinrich Greving
Bernhard Sackarendt
Ulrich Scheibner

PS. Wir haben uns mit unserem Anliegen auch an die Bundesbeauftragte für die Belange beeinträchtigter Menschen, Verena Bentele, und an Abgeordnete im zuständigen Ausschuß gewandt.

Lesermeinungen zu “Menschengerechte Strukturen in Werkstätten angemahnt” (34)

Von Behindert_im_System

Hallo Herr Drebes,

wenn ich den Artikel richtig gelesen und verstanden habe, wäre erst nach 5 Jahren Betriebszugehörigkeit der Adis Beschäftigten eine Rückkehr in die Werkstatt nur mit diesem Sondermodell möglich. Das würde dann so ablaufen, wie es in dem Artikel beschrieben ist. Dies meinte ich, dass keine Sonderreglungen oder eventuelle Stolpersteine vor dem Inkrafttreten des BTHG bekannt waren und es uns zeigt, das nach noch nicht mal 100 Tagen in kraft gesetzt, die Überraschungen nicht lange auf sich warten lassen.

Von Sven Drebes

@Behindert_im_System:
Ja, im BTHG steht etwas anderes, aber der Teil, wo das Rückkehrrecht steht, gilt erst ab 2018.

Von kirsti

Schlimm und entmündigend das Bild alleine aus der „Südwest Presse“, wie sich der Gruppenleiter herablässt, dem Herrn Staatsekretär samt Gefolge zu erklären, was die Behinderte da tut: Liebe Leute: sie scannt! Für Daimler und Ratiopharm für einen Lohn von ca. 300 Euro in einer WfbM der Lebenshilfe!

Von Behindert_im_System

Für Interessenten!

http://www.swp.de/ulm/lokales/ulm_neu_ulm/was-der-mensch-wert-ist-14306789.html

Kleiner Auszug aus dem Beitrag: Rückkehr problematisch

Problematisch und nur mit Hilfe eines bayerischen Modells möglich ist die Rückkehr von Adis-Beschäftigten in die Werkstätten, falls es auf dem freien Arbeitsmarkt nicht klappt. Sie müssten sich arbeitslos melden und sich erneut als werkstatttauglich überprüfen lassen. Diesem bürokratischen Hemmnis begegnet der Freistaat mit einem Modell, das die Rückkehr von Adis in die Werkstätten nach Ablauf von fünf Jahren garantiert. Diesbezüglich hätten sich die Bezirke als Geldgeber und die Rentenversicherungsträger geeinigt. Gesetzeslage ist das aber nicht.

Steht da nicht im BTHG etwas anderes?

Von kirsti

Andere Länder, andere Sitten; habe auf der Suche nach Informationen gefunden:
Der finnische Staat hat 2010 eine Grundsatzentscheidung getroffen, dass bis zum Jahr 2020 schrittweise Heime für Behinderte aufgelöst werden sollen. Nur im besonderen Bedarfsplatz soll es noch Plätze geben… Dabei hat Finnland die UN-BRK erst 2016 ratifiziert.
War das bei uns nicht irgendwie anders mit dem Beschluss des BTHG, das bis zum Jahr 2020 vollständig umgesetzt werden soll?

Von Dagmar B

https://www.alltag-in-schweden.de/behindertenversorgung-in-schweden.php

Zitat :

Wenn ein behinderter Mensch die Volljährigkeit erreicht, wird ihm vom Staat eine Wohnung finanziert. Auch hier endet die Unterstützung durch die persönlichen Assistenten nicht. Je nach Bedarf wird sie bis zum Tode des Patienten fortgesetzt.

Dem behinderten Menschen wird eine geförderte Arbeitsstelle zugewiesen auf der er, je nach seinen Fähigkeiten, verschiedene Tätigkeiten ausübt..........

Zitat Ende

So wie ich es verstehe , werden rund um die Uhr Assistenten zur Verfügung gestellt.
Wahrscheinlich verdienen die auch richtiges Geld , und nicht wie in Deutschland Hungerlohn , so das in dem Bereich in Deutschland eher mit Fachkräftemangel gerechnet werden müßte. Um Geld zu verdienen muss man dann schon Aufseher in einer Anstalt werden !

Zitat :
In der schwedischen Gesellschaft gibt es ein Paradigma das besagt, das alle Menschen gleichgestellt sind und gleiche Möglichkeiten haben müssen aktiv am allgemeinen gesellschaftlichen Leben, teilhaben zu können. Auf benachteiligte Personen keine Rücksicht zu nehmen, ist in Schweden ein schwerer Tabubruch. Dies gilt sowohl im Alltag als auch im Berufs-Leben. Sich auf der Arbeit Vorteile auf Kosten behinderter Menschen zu verschaffen, kann mit einer sofortigen fristlosen Kündigung enden.
Zitat Ende

Bis Deutschland bei so einem Menschenbild angekommen ist, wird es noch 500 Jahre dauern , da sollte man aufhören zu träumen !
In Deutschland ist die Politik wieder dabei, mit der Abwertung von behinderten Menschen auf Stimmenfang zu gehen.

Von Behindert_im_System

Leiharbeit würde ich es vielleicht nicht nennen, eher vielleicht eine Beschäftigungsgarantie welche nicht Personengebunden ist, sondern vielleicht immer eine bestimmt Anzahl von Arbeitsplätzen garantiert und zur Verfügung stellt. Interessant wäre dann auch, sind das Arbeitsplätze mit Förderung, oder ist es eine generelle Möglichkeit für jeden Menschen mit Behinderung seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, sofern es die Behinderung zulässt?

Von kirsti

Zu den "schwedischem Modell" noch mal:

Wie das „schwedische Modell“ aussieht, weiß ich nicht genau. Da die die nordischen Länder aber eigentlich alle ähnlich „ticken“, behaupte ich einfach mal ins Blaue – in Analogie zu finnischen Verhältnissen, dass alles nicht so streng reglementiert ist. Die Durchlässigkeit der Systeme von einem zum anderen ist größer. Man kommt einfacher mit den Behörden klar, so in der Art: „ein Anruf genügt…“ Ob das immer hilft, kann ich nicht sagen, aber wenn man genügend nachhakt, glaube ich schon. WfbM in dieser systematischen Form gibt es meines Wissens in Finnland nicht, somit auch nicht in Schweden?? Quelle:
https://www.youtube.com/user/Kehitysvammaliitto/videos auf finnisch (kann man wohl auch auf deutsch/englisch umschalten)

Von Sven Drebes

Schweden hat eine Art staatliche Agentur geschaffen, die diejenigen, die hier in Werkstätten arbeiten, betreut in Betriebe schickt.
Christiane Link weiß mehr darüber.

ich habe bewusst vorsichtig "prüfen" geschrieben, weil ich nicht sicher bin, ob so etwas übertragbar ist. Leiharbeit, wie sie zur Zeit hier üblich ist, sehe ich nicht als erstrrebenswertes Modell. Ich weiß nicht, ob Leiharbeit in Schweden die gleiche Rolle spielt wie hier.

Von Behindert_im_System

@ von Sven Drebes

"Zudem sollte das schwedische Modell geprüft werden."

Was ist denn das schwedische Modell und glauben Sie, dass man es auch hier umsetzen könnte, oder würde allein der Versuch der Einführung, erneut 20 Jahre dauern, da keine Einigkeit besteht?

Von Sven Drebes

Ich bin daher der Ansicht, dass
- spätestens alle 5 Jahre unabhängig geprüft werden soll, ob die WfbM noch der richtige Ort ist, ein Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt möglich ist oder eine andere Tagesstruktur sinnvoller ist,
- WfbM - wie Berufsbildungswwerke - keine externen Aufträge mehr annehmen dürfen,
- die Rente nach 20 Jahren für alle, die ab einem bestimmten Stichtag in eine WfbM wechseln, abgeschafft wird und stattdessen die allgemeine Erwerbsminderungsrente verbessert wird,
- WfbM sämtliche Kosten über die Vergütungssätze decken müssen, also weder Investitionszuschüsse noch Spenden bekommen dürfen, und,
- ein echtes Wahlrecht zwischen WfbM, "Budget für Arbeit" und anderen Arten der Tagesstruktur eingeführt wird.

Zudem sollte das schwedische Modell geprüft werden.

Von Sven Drebes

Hallo Micha,

gerade weil die drei Herren das "System WfbM" so gut von innen kennen und schon in ihrer "aktiven Zeit" für Änderungen eingetreten sind, sind sie für mich glaubwürdig.

Sie dagegen liegen auch in meinen Augen in mehreren Punkten falsch.
1. WfbM sind vom Gesetzgeber explizit nicht als Arbeitsorte oder Arbeitsmarktinstrument geschaffen worden sondern als Einrichtung der beruflichen Reha. Nur deshalb können sie "Löhne" zahlen, die sonst nur noch für Strafgefangene und 1-Euro-Jobber üblich sind. Es ist also falsch, die Menschen, die schwerbehindert und arbeitslos, aber erwerbsfähig sind, mit denen in einen Topf zu werfen, die erwerbsunfähig sind.
2. Ziel der Werkstätten ist es, wiederum laut Gesetz, Menschen (wieder) fit für den ersten Arbeitsmarkt zu machen! Nur solange das noch nicht gelungen ist, sollen sie Ersatz-Beschäftigung bieten.
3. So gut wie keine WfbM erfüllt ihren gesetzlichen Hauptauftrag! Im Schnitt verlassen ein oder zwei von tausend Beschäftigten ihre Werkstatt Richtung Arbeitsmarkt, Integrationsbetriebe eingerechnet. Kein anderes öffentlich gefördertes System würde bei so einer "Erfolgsquote" länger als fünf Jahre finanziert.
4. Die oft von WfbM vorgebrachte Erklärung, die Übergangsquote sei so gering, weil die Menschen nicht erwerbsfähig sind, wird von ihnen selbst widerlegt. Wenn Werkstattbeschäftigte in der Lage sind, in den WfbM so zu arbeiten, dass WfbM Aufträge aus der Industrie oder vom Staat erledigen können, dann können sie mit der entsprechenden Unterstützung auch woanders arbeiten.
5. Die 200.000 Menschen, die die Werkstattbeschäftigten betreuen, werden nicht arbeitslos. Sie werden zur Unterstützung in den Betrieben gebraucht.

Von kirsti

Fortsetzung:

3. Sie schreiben:
„Ich möchte aber die Werkstatt als Teil eines umfangreichen Sozialleistungs-Systems betrachten (in dem ich als Mensch ohne anerkannte Behinderung allerdings nicht finanziell aufgefangen werde, wenn ich freiwillig auf einen Teil meines Lohnes verzichte, wie Sie mir vorschlagen).“
Frage: Wie werden Menschen mit Behinderung „finanziell aufgefangen“? Der Stundenlohn beträt durchschnittlich 1,30€. Nach 20 Jahren Werkstattaufenthalt geht der Rentenanspruch, der um ein Vielfaches höher ist als auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und fern jeglicher Realität ist, in vollem Umfang auf den Sozialhilfeträger über. Meinen Sie dies mit „finanziell aufgefangen“? Wollen Sie nach 20 Jahren WfbM in einem Heim für Behinderte leben?

Von kirsti

Sehr geehrter Herr Micha!
Ihre Ausführungen sind vor dem Hintergrund des verabschiedeten BTHG’s schwer zur ertragen. Sie enttarnen sich geradezu vorbildlich als Lobbyist der „Werkstatt“- Systems, indem Sie sich anscheinend nur argumentativ für Ihre Klientel der Behinderten ausgeben, in Wirklichkeit aber Scheinargumente aufführen.
Um auf der Sachebene zu diskutieren, sind neben den bekannten Allgemeinplätzen, die Sie anführen, folgende bewusste Falschdarstellungen zu korrigieren:
Sie schreiben:
1. „Bitte berücksichtigen Sie, dass darüber hinaus fast 200.000 Menschen mit Behinderung in Deutschland arbeitslos sind, die keinen Anspruch nach SGB IX auf einen Arbeitsplatz in einer Werkstatt für behinderte Menschen haben.“
Frage: Wer sind diese 200 000 Menschen mit Behinderung in Deutschland, die keinen Anspruch in einer WfbM haben?
Sie schreiben:
2 . „Das „Recht auf Inklusion“ soll also in seiner Konsequenz einer halben Million Menschen mit Behinderung in Deutschland ein Recht auf einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verschaffen…?“
Frage: Haben Sie sich vor dem Hintergrund Ihrer Behauptungen das BTHG, dort vor Allem den § 102, zu Gemüte geführt, der den Vorrang der WfbM vor anderen Leistungen für behinderte Menschen festzementiert. D.h.: Die von Ihnen geradezu verteufelte „Inklusion“ aus dem Hause des BMAS führt gegenteilig eben NICHT zur Inklusion, die wir als Bewegung aller Behinderter fordern, sondern ist ein Instrument, um Behinderte in Werkstätten zu bringen. Im Übrigen diskreditieren Sie die gesamte Behindertenbewegung mit Ihrer Diskreditierung des Begriffes „Inklusion“, für die wir – ich gebe es gerne zu – kämpfen.
3. Sie schreiben:
„Ich möchte aber die Werkstatt als Teil eines umfangreichen Sozialleistungs-Systems betrachten (in dem ich als Mensch ohne anerkannte Behinderung allerdings nicht finanziell aufgefangen werde, wenn ich freiwillig auf einen Teil meines Lohnes verzichte, wie Sie mir vorschlagen).“
Frage: Wie werden Menschen mit

Von kirsti

@ Der Micha
Dagmar B. hat zu Ihrem Beitrag schon alles gesagt. Wenn Sie glaubwürdig sein wollen, engagieren Sie sich für den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn für die Klientel in Ihrem „System“ der WfbM – ohne Wenn und Aber –, vergessen Sie die sog. „Außenplatz“ Beschäftigten nicht. Klären sie den SPD- Kanzlerkandidaten Marin Schulz und alle Politiker umfassend über die Probleme des nicht gewährten Mindestlohns für die Menschen in der WfbM auf. Nur so sind Sie glaubwürdig.

Von DerMicha

Hallo Dagmar, ich möchte nicht als Lobbyist eines „Systems“ verstanden werden. Ich möchte auch nicht das System Werkstatt pauschal als richtige und einzige Alternative zum allgemeinen Arbeitsmarkt verteidigen. Ich möchte aber die Werkstatt als Teil eines umfangreichen Sozialleistungs-Systems betrachten (in dem ich als Mensch ohne anerkannte Behinderung allerdings nicht finanziell aufgefangen werde, wenn ich freiwillig auf einen Teil meines Lohnes verzichte, wie Sie mir vorschlagen). Die Werkstatt ist in meinen Augen keine Bildungseinrichtung im klassischen Sinne, denn Persönlichkeitsförderung und Teilhabe am Arbeitsleben werden gleichermaßen erwartet. Dass Bildung stattfinden soll und muss steht dabei außer Frage. Und wenn Sie sagen, dass Menschen mit Behinderung in einer Werkstatt einem tatsächlichen Produktionsdruck wie auf dem ersten allgemeinen Arbeitsmarkt unterliegen ohne dabei einen gleichwertigen Lohn zu erhalten, dann sprechen Sie von einer anderen Einrichtung als die, für die ich mich jeden Tag engagiere. Wenn wir ein "System" Werkstatt in Frage stellen, sollten wir das gesamte System betrachten, in welchem die Werkstatt eingebettet ist. Darüber zu diskutieren ohne die guten Seiten eines etablierten „Systems“ außer Acht zu lassen würde ich begrüßen.

Von Dagmar B

Hallo Micha ,
Sie sprechen wesentliche Kritikpunkte an den Wfbm ja selber an , nur ohne diese in Frage zu stellen.
Es ist völlig richtig, das im Zuge des gesellschaftlichen Wandels die Klientel der Wfbm ausgewechselt wird , von zuerst wesentlich behinderten Menschen in arbeitsfähige Menschen , die nach Bedingungen ( Sie beschreiben ja selber den Produktionsdruck) des ersten Arbeitmarktes arbeiten. Sie halten die Wfbm für die richtige Maßnahme , noch mehr ( arbeitsfähige ) Menschen vor der der Arbeitslosigkeit zu schützen.Selbstverständlich ohne den Status eines Arbeitnehmers und ohne Entlohung ( wenigstens Mindetslohn) .
Da Sie selber als Betreuer tätig sind , schlage ich Ihnen vor , zukünftig auf ihren Lohn zu verzichten um sich auf Augenhöhe mit Ihren Klienten zu begeben.
Sie schreiben, die Wfbm sei keine Bildungseinrichtung. Das ist falsch! Wfbm sind ausdrücklich zur beruflichen Weiterbildung ( und Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt )verpflichtet !
Zitat :Sie stellen das tagtägliche Engagement und die Professionalität zehntausender Pädagogen, Heilerziehungspfleger oder Fachkräfte zur Arbeits- und Berufsförderung pauschal infrage.
Zitat Ende
Wfbm sichern tatsächlich einem Heer von Betreuern ein gutes Einkommen. Engagement und Proffessionalität noch zu betonen, weil man sein Geld verdient, wirkt etwas seltsam.Engegement und Proffessionalität sollte doch an jedem Arbeitsplatz selbstverständlich sein. Wozu diese Selbstbeweihräucherei?
Ich wiederhole daher meinen Apell : begeben Sie sich auf Augenhöhe , verzichten Sie auf Ihren Lohn, so wie auch 300.000 behinderte Menschen, die von Priviligierten betreut werden, auf eine faire Entlohnung verzichten müssen !

Von DerMicha

Wenn wir unser „System“ infrage stellen, stellen wir 300.000 Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung und die damit verbundenen Teilhabechancen infrage. Bitte berücksichtigen Sie, dass darüber hinaus fast 200.000 Menschen mit Behinderung in Deutschland arbeitslos sind, die keinen Anspruch nach SGB IX auf einen Arbeitsplatz in einer Werkstatt für behinderte Menschen haben. Das „Recht auf Inklusion“ soll also in seiner Konsequenz einer halben Million Menschen mit Behinderung in Deutschland ein Recht auf einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verschaffen…? Wo…? Wann…? Wie…?
Ich sage nicht, dass sich die Werkstatt als Arbeitgeber und berufliche Fördereinrichtung nicht weiter entwickeln brauche. Ich behaupte nicht, dass alle Einrichtungen der Behindertenhilfe gut aufgestellt sind und beste Arbeit leisten. Aber ich kann für mich und meinen Arbeitgeber behaupten, dass wir unsere Arbeit ernst nehmen, diese ständig hinterfragen und uns weiter entwickeln wollen und das auch tun – gemeinsam mit den Menschen, für die wir da sind. Wer unsere Arbeit infrage stellt, sollte bessere Alternativen aufzeigen oder lieber schweigen.

Von DerMicha

Die „Denkwerkstatt“ schlägt eine Abschaffung der Werkstätten vor, die Herren beziehen sich dann auch noch kurz auf England und erwähnen in einem Nebensatz, dass sich die Werkstätten in Deutschland ja nicht so wie in England auflösen sollten. Aber so ähnlich? Kennt die "Denkwerkstatt" die tatsächliche Lebenssituation von Menschen mit Behinderung in Großbritannien? Ich kläre Sie gerne auf: Der Sozialträger Remploy hat zwischen 2007 und 2012 100.000 Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung abgeschafft und angeblich alle Menschen auf dem freien Arbeitsmarkt vermittelt…offiziell mit dem aus meiner Sicht populistischen Argument einer inklusiven und teilhabeorientierten gesellschaftlichen Weiterentwicklung. Blödsinn! Tatsächlich wurden aus rein ökonomischen Gründen Arbeitsperspektiven für 100.000 Menschen in kürzester Zeit vernichtet! Kennen Sie die Bilder der damals gegen die Auflösung der Werkstätten demonstrierenden Beschäftigten mit Behinderung? Auch diese Bilder kann man googeln – die Medien haben sie damals aber nicht aufgegriffen (https://www.google.de/search?q=remploy+demonstration+gegen&source=lnms&tbm=isch&sa=X&ved=0ahUKEwi-hKrqkuvSAhXrJcAKHcL9CzkQ_AUIBygC&biw=1366&bih=651#imgrc=VGRNM6ZOfljAQM:). Wissen Sie, dass sich Remploy mittlerweile reorganisiert hat und sich bemüht, als Vermittlungsagentur den vielen Menschen (über 80%), die in kurzer Zeit ihren „inklusiven Arbeitsplatz“ wieder verloren haben und seitdem ohne vernünftige Tagesstruktur ihr Dasein fristen, neue Arbeitsmöglichkeiten bieten will?

Von DerMicha

Liebe Kritiker: Wir fördern und begleiten Menschen mit Behinderung. Wir konzipieren individuelle Förder- und Begleitangebote, wir entwickeln ständig Arbeitsplatzangebote, wir suchen keine Menschen für die Arbeit sondern bemühen uns, Arbeitsangebote für die uns anvertrauten Menschen zu realisieren. Das Thema berufliche Bildung im Kontext einer individuellen Förderung rückt heute immer mehr in den Mittelpunkt. Aber wir sind keine Bildungseinrichtung, wir stehen zudem täglich unter dem Druck, durch „wirtschaftlich verwertbare Arbeit“ einen Gewinn zu erzielen, mit dem die Werkstatt die Löhne der Mitarbeiter finanziert – mindestens 70% des Gewinnes, die meisten Werkstätten liegen deutlich darüber. Intransparent sind solche Zahlen nicht – man kann zum Beispiel nach SROI googeln. Viele Einrichtungen – gerade in Vereinsträgerschaft – legen ihre Zahlen sowieso offen.
Ja: Die Voraussetzungen könnten besser sein, um mehr und intensivere berufliche Förderung zu ermöglichen. Und wenn der zunehmende Leistungsdruck in unserer Gesellschaft nicht irgendwann weniger wird, werden die Werkstattarbeitsplätze auch in Zukunft immer weiter zunehmen müssen, um Perspektiven für diejenigen zu schaffen, die nicht (mehr) mitkommen in unserer Arbeitswelt – vor allem im Hinblick auf die wachsende Zahl von Menschen mit psychischer Beeinträchtigung.

Von DerMicha

Was ist eigentlich das „System“ Werkstatt? Über 3000 Einrichtungen, unzählige, lokale, völlig unterschiedliche Träger und Verantwortlichkeiten – Vereine, Kommunen, Verbände, Kooperationen, gGmbH’s und so weiter. Völlig unterschiedliche Einrichtungen, die alle einfach keine gute Arbeit leisten? Sie finden „bei uns“ nur unmenschliche Strukturen vor? Ist das Ihr Ernst? Die Autoren bescheinigen den Werkstätten und Werkstattbetrieben, dass sie sich in den vergangenen 50 Jahren nicht weiterentwickelt haben? Dass der Mensch verwahrt und nicht gefördert wird? Sie stellen all die politischen und sozialgesellschaftlichen Errungenschaften der Nachkriegszeit für mehr Lebensqualität für Menschen mit Behinderung pauschal in Frage? An dieser Stelle gebe ich gerne zu, dass ich seit Jahren in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeite und dringend hoffe, nicht als Verwahrer wahrgenommen zu werden! An dieser Stelle frage ich mich auch, wo meine tausenden Kolleginnen und Kollegen sind, die jetzt und hier - nach den Diskussionen rund um das BTHG 2016 und dem damit bereits verbundenen Infrage-Stellen der Werkstätten und spätestens jetzt, wo scheinbar viele Menschen seit Wallraff die Werkstatt nur noch als separierende Anstalt betrachten – Stellung beziehen sollten!

Von DerMicha

Drei fachlich versierte Autoren stellen hier ein „System“ infrage, das sie Jahrzehnte lang selbst mitgetragen und verantwortet haben – insbesondere in der Funktion als Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten oder in der akademischen Ausbildung. Schlimmer noch: Sie stellen das tagtägliche Engagement und die Professionalität zehntausender Pädagogen, Heilerziehungspfleger oder Fachkräfte zur Arbeits- und Berufsförderung pauschal infrage. Die Autoren untermauern ihr negatives Bild durch zusammenhanglos zusammen gegoogelte Fotos von Arbeitsplatzsituationen, die überhaupt nichts aussagen oder höchstens zeigen, dass Menschen an Tischen sitzen und gemeinsam arbeiten.
Eine Autorenschaft, die sich als „Denkwerkstatt“ bezeichnet, sollte –wenn sie sich schon durch den RTL-Beitrag bestimmt fühlen, das Bundesamt für Arbeit und Soziales anzuschreiben - mehr liefern als pauschale Kritik an eine jahrzehntelang verschlafene Sozialpolitik. Was hat denn jetzt das eine mit dem anderen zu tun? Als ob die RTL-Szenen irgendetwas mit Politik zu tun haben! Oder mit einem „intransparenten“ System! Egal ob in Kliniken, Altenheimen, bei der Polizei oder wo sonst investigative Journalisten unmenschliche Situationen aufdecken: Es geht um die Frage, wie die Kollegen oder die Einrichtung mit krassem Fehlverhalten umgehen. Übrigens alle Einrichtungen haben umgehend richtig reagiert und Konsequenzen gezogen. Und das weiß wohl auch nicht jeder: In einigen weiteren Werkstätten hat RTL heimlich gefilmt, aber nichts Auffälliges gefunden und Caro Lobig hat gegenüber dem Aachener Zeitungsverlag Tage nach der Ausstrahlung der Sendung bestätigt, dass sie in den betroffenen Einrichtungen auch gute Szenen und gute pädagogische Arbeit gefilmt habe, „jedoch erwartet der Zuschauer solche Szenen in unserem TV-Format nicht“.

Von Uwe Heineker

Der Hinweis von Herrn Theben auf die Dokumentation des Dortmunder Krüppeltribunal macht deutlich, wie gefestigt und hartnäckig besagte Strukturen sind ...

Von Dr. Theben

Vieles von den Feststellungen der drei Herren ist zu unterstreichen. Aber es fällt doch auf, daß wenige die Institution der Werkstatt für Behinderte als exclusive weil aussondernde Institution grundsätzlich in Frage stellen. Wir feiern als Erfolg, daß es für "Werkstattmitarbeiter" etwas bessere finanzielle Anreize gibt und in den Werkstätten Frauenbeauftragte instaliert werden. Das ist vor dem Hintergrund der Anforderungen der UN-BRK recht erbärmlich. Das Krüppeltribunal, an dem ja auch die nunmehr völlig zurecht mit dem Vorsitz im UN-Fachausschuss betraute Theresia Degener teilgenommen hatte (damals zu den Themen Frauen und Pharmaindustrie), war da mal weiter:

http://archiv-behindertenbewegung.org/ifile/randschau/KrueppelTribunal-low.pdf ab S. 74

In diesem Sinne

Der K(r)ampf geht weiter!

DR. Martin Theben

Von Clemens Selzer

Als Gewerkschafter, der seit 40 Jahren als Gruppenleiter bzw. Fachkraft in einer "WfbM" arbeitet, geht mir "das Herz auf", wenn ich lese, wie die drei mit Werkstattfragen bestens vertrauten Herrn Greving, Sackarendt und Scheibner auf die Wallraff/RTL-Enthüllungen reagieren. Zugleich zeigen sie auf, welche Schritte - nicht nur wegen der "Enthüllungen", sondern weil sie einfach längst überfällig sind - jetzt von den Verantwortlichen zu tun sind. Wir sollten diese Forderungen - Strukturen haben sich an den Interessen der Beschäftigten in Werkstätten zu orientieren; Menschenrechte sind ohne jede Einschränkung auch in Werkstätten zu achten und zu garantieren; MitarbeiterInnen in Werkstätten dürfen nicht länger Arbeitnehmerrechte - einschließlich einer gerechten Entlohnung mit einem Gehalt, das zu Leben reicht - vorenthalten werden; Fachkräfte müssen über eine notwendige Qualifikation verfügen, bereit sein und das Recht haben, sich kontinuierlich fortzubilden und besser entlohnt werden; die Arbeit und Arbeitsplatzgestaltung in Werkstätten muss "Gute Arbeit" sein, die der Fortentwicklung der Persönlichkeit dient und in keiner Weise schädigen darf; Werkstätten müssen transparent sein und bereit sein, sich zu verändern und der Realisierung einer Inklusiven Gesellschaft und damit auch Arbeitswelt dienen - weit verbreiten und z.B. vor der Bundestagswahl die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft damit konfrontieren!

Von Dagmar B

Ich hab mir nun eins von den Bildern angeguckt und es hat ja deutlich was von " Wir besichtigen die Affen im Affenkäfig "

Vielleicht nochmal zur Kenntnisname
http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/quarks-und-co/video-der-entdecker-des-down-syndroms---wie-john-langdon-down-sich-fuer-geistig-behinderte-einsetzte-100.html


John Langdon-Down hat im 19. Jahrhundert deutlich bessere Lebensumstände für Menschen mit Behinderung erarbeitet , als die heute in Deutschland üblich sind !
Die deutschen Anstalten sind ihrem "deutschen Charakter " über die Jahrzehnte treu geblieben !

Von kirsti

Ja, es geht ums Geld. Das ist so ziemlich das Einzige was zählt. So hat der Bundesrat am 16. Dezember 2016 mit der Drucksache 711/16 dem am 1. Dezember 2016 vom Deutschen Bundestag beschlossenen Bundesteilhabegesetz zugestimmt. Bauchschmerzen bereiteten den Ländern allerdings die immer noch nicht völlig geklärten fiskalischen Probleme im Einzelfall.- Denn mehr zahlen wollten und wollen weder Länder noch Bund für die Behinderten. So viel sind diese „Behinderten“ dann doch nicht wert, vor allem wenn es um mögliche „Mehrkosten“ geht. – Menschen und Menschenrechte bleiben auf der Strecke…, aber das kommt mir irgendwie bekannt vor. Hatten wir das nicht schon einmal?

Von Annika

Ich habe hier das erste mal von dieser Hotline der Lebenshilfe Leverkusen gehört und das auch nachgelesen. Wer bezahlt eigentlich diese "Beratungsfirma" - ich nehme doch an, dass das letztlich auch wieder aus Pflegesätzen für Menschen mit Behinderungen bestritten wird. Also verdienen wieder (Fach)Leute am Unglück Behinderter.
Zum Zweiten frage ich mich, ob man davon ausgeht, dass die Anrufer irgendwie "bescheuert"/therapiebedürftig sind, weil sie mit hochqualifizierten Psychotherapeuten oder Pädagogen sprechen sollen.
Es wird immer noch eins draufgesetzt aber keiner will die Wurzel rausreißen, weil zuviele gut davon leben.

Von kirsti

Hallo Dagmar,
und meine Macht besteht darin, das Gute von dem Falschen zu unterscheiden, das Geschwätz und die Phrasen zu erkennen von „mitten in der Gesellschaft“ und „keiner darf zurückbleiben“ und „Leistungen sollen sein wie aus einer Hand“, wo jeder weiß, dass die Leistungen eh‘ alle aus einer Hand kommen, nämlich dem BMAS, zu mehr reicht es bei mir auch nicht…. Das ist meine „Macht“.

Von Dagmar B

http://www.rp-online.de/nrw/staedte/leverkusen/lebenshilfe-berater-bei-hotline-sind-kompetent-aid-1.6687490
Zitat :
Angehörige hatten kritisiert, dass die Mitarbeiter der Hotline ihnen nicht hätten weiterhelfen können und sie sich abgewimmelt vorgekommen seien. Die telefonische Beschwerde-Stelle hatte die Behinderten-Werkstatt als Reaktion auf die Missstände eingerichtet, die der Fernsehsender RTL aufgedeckt hatte.

Die Mitarbeiter an der Hotline seien kompetent, versichert Mohr. Das beauftragte Unternehmen sei ein Beratungs-Dienstleister für alle Fragen im Arbeits- oder privaten Umfeld, bei Alltagssorgen oder Krisen. "Es ist betreut namhafte Unternehmen und Institutionen aus zahlreichen Branchen mit insgesamt 240.000 Mitarbeitern." Die Berater seien "Psychologen mit psychotherapeutischer Zusatzausbildung in einer wissenschaftliche begründeten Methode

Zitat Ende

Hallo Kirsti ,
wenn aus fiskalischen Gründen Pseudopädagogik dazu dient , Kosten zu senken , weil dieses so politisch erwünscht ist und die Pseudopädagogik auch dazu dient, das Gewissen zu entlasten, weil ja nur das Beste für die Behinderten gewollt wird, ist es eher belanglos , ob Betroffene andere Ansichten vertreten.
Die einzige Macht besteht daraus , Fachleute heranzuziehen, die eine menschenrechtbasierte Pädagogik bevorzugen. Behinderungen sind doch immer noch eher ein Fachgebiet für irgendwas , als das davon ausgegangen wird, das zu den Behinderungen auch Menschen gehören...........

Von kirsti

Aber auch wenn diese Praxis der realen und strukturellen Gewalt schon so lange, wie beschrieben, bekannt ist, darf dies kein Argument für eine Art „Schockstarre“ werden. Wir müssen dem „scheinpädagogischen“ Gerede Taten entgegensetzen. Denn wir wissen es nun schon lange! Und ist Wissen nicht auch Macht?

Von Dagmar B

Zitat :

Die gesetzliche Vorschrift über die „Freiheit von [...] grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe" (Artikel 15 GÜRbM) wird im Werkstatt- und Wohnalltag viel öfter übersehen, als das der Öffentlichkeit bekannt wird. Doch es sind nicht die sensationsträchtigen Übergriffe, die eine strukturbedingte Inhumanität charakterisieren. Es ist der unprofessionelle, scheinpädagogische und selbst Strafen einschließende Umgang mit den beeinträchtigten Menschen

Zitat Ende

Der hier bezeichnete Umgang wurde ja kürzlich auch wieder scheinpädagogisch abgesegnet , als es um die Misshandlungen in den bayrischen Heimen ging. Dokumentiert und pädagogisch begründet sind Misshandlungen nach wie vor erlaubt ! Und das auch nicht als Einzelfall , sondern wie sich gezeigt hat , als grundlegendes Prinzip der Arbeit mit den Insassen !

Zitat :

Das Internet offenbart auch Nicht-Fachleuten die Misere, wenn man bereit ist, die Werkstattrealität zu akzeptieren: Hunderte Fotos aller möglichen Werkstattträger zeigen Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und Arbeitsabläufe, die man in den Anstalten des 19. Jh. vermutete.

Zitat Ende

Richtig , aber auch hier ist gültig , das dass 19. Jahrhundert mit allen (schein) pädagogischen, strafenden Schindereien von behinderten Menschen überall vorzufinden ist. In Schulen , in Werkstätten, in Wohngruppen, in Heimen.
Und das wird auch so bleiben , wenn Quälerei von behinderten Menschen nicht eindeutig als Rechtsverstoß gedeutet wird, und die Grausamkeiten pseudopädagogisch begründet werden können !

Von Uwe Heineker

Deutlicher kann man den Zustand der Werkstätten nicht beschreiben.

Aber:

diese wurden bereits fast analog 1981 (!) auf den Dortmunder Krüppeltribunal sowie auf 3 Alternativen Werkstättentagen (mit -beschäftigten) seit 1988 beschrieben und daraus entsprechende Forderungen an die Politik erhoben (siehe http://www.sozialpsychiatrie-mv.de/PDF/DeutzerErklaerung.pdf ) - alles ohne jegliche Auswirkungen

Von kirsti

Danke an die Verfasser des wahrhaft wichtigen Schreibens der virtuellen Denkwerkstatt, Prof. Dr. Heinrich Greving, Bernhard Sackarendt und Ulrich Schreibner über „Menschenwürde in den Werkstätten braucht menschengerechte Strukturen", das sie als Reaktion auf die Enthüllungen des Team Wallraff in RTL über die Zustände in Werkstätten für behinderte Menschen u.a. an die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Gabriele Lösekrug-Möller gesandt haben! – Ich verbinde mit diesem „Danke“ den Wunsch, dass dieses Schreiben in der Fülle der Informationen nicht untergeht und von möglichst vielen Lesern zur Kenntnis genommen wird. Dieses Schreiben enthält m. M. nach alles, was zum Thema „Werkstätten“ und Sonderwelten zu sagen ist.