Teilhabeausweis statt Schwerbehindertenausweis?

Veröffentlicht am von Ottmar Miles-Paul

Grafik zeigt neuen Schwerbehindertenausweis
Grafik zeigt neuen Schwerbehindertenausweis
Bild: omp

Bremen (kobinet) Eine Anhörung bezüglich einer möglichen Umbenennung des Schwerbehindertenausweis in "Teilhabeausweis" findet am 28. September um 15:00 Uhr in der Bremischen Bürgerschaft statt. Darauf macht der Landesbehindertenbeauftragte der Freien Hansestadt Bremen, Dr. Joachim Steinbrück, auf seiner Internetseite aufmerksam.

Die Bremische Bürgerschaft hat in ihrer Aprilsitzung den Senat aufgefordert, sich mittels einer Bundesratsinitiative für eine Umbenennung des Schwerbehindertenausweises einzusetzen. Vor Einbringung der Initiative in den Bundesrat hat eine Abstimmung mit den Betroffenen zu erfolgen. Ihre Wünsche und Forderungen sollen im Rahmen des Bundesratsantrages berücksichtigt werden. Bis Oktober hat der Senat der Bürgerschaft zu berichten. Der Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen und der Landesbehindertenbeauftragte begrüßen die Beteiligung behinderter Menschen und ihrer Vertretungen ausdrücklich und laden daher zu einer gemeinsamen Anhörung am 28. September um 15.00 Uhr ins Haus der Bürgerschaft ein.

"Verschiedene Impulse seit 2015 haben zu einer Debatte bzgl. einer möglichen Umbenennung des Schwerbehindertenausweis geführt. Angefangen hat alles mit einem Gespräch einer Klientin des Martinsclubs mit dem Büro des Landesbehindertenbeauftragten im Oktober 2015. Danach folgte eine Aktion beim Bremer Behindertenparlament im Jahr 2016 sowie der Dringlichkeitsantrag 'Schwerbehindertenausweis umbenennen' der Fraktionen der FDP, Bündnis 90/DIE GRÜNEN, SPD und CDUU im Frühjahr 2017. Für mediale Aufmerksamkeit sorge auch eine Initiative von Schülerinnen und Schüler der Werkstufe am Schulzentrum Neustadt. Diese stellten die Frage: Warum müssen wir einen Ausweis vorzeigen, der unser Schwächen beweist?", heißt es zur Erläuterung der Initiative auf der Internetseite des Landesbehindertenbeauftragten der Freien Hansestadt Bremen.

Link zu weiteren Informationen

Lesermeinungen zu “Teilhabeausweis statt Schwerbehindertenausweis?” (7)

Von kirsti

Zum Wort oder Schimpfwort „behindert“ fällt mir das Zitat der „Inklusions/Integrationspädagogin“ der ersten Stunde Prof. Jutta Schöler ein, die „behindert“ anschaulich an einem Beispiel darstellte: Spielen drei, vier Kinder Fußball, schimpft eins: „Wie spielst du denn? Bist du behindert?!“- Kurz darauf erscheint ein bekanntes Kind am Rollator. Sofort halten die Kinder inne und sind sich einig, jetzt nicht mehr so wild zu spielen, weil das „behinderte“ Kind fallen könnte.- Ich hoffe allerdings, dass dieses Beispiel Schule machen würde und auch heutzutage noch gültig ist. Dann könnte man den Behindertenausweis mit gutem Gewissen Behindertenausweis nennen.

Von Sven Drebes

Fortsetzung:

Die Diskussion um den Namen des Ausweises lenkt darüber hinaus von dem ab, was eigentlich notwendig wäre.

Der Name "Teilhabeausweis" ist auch inhaltlich ungeeignet, weil irreführend. Zum einen ist Teilhabe allen Menschen zu ermöglichen, es ließe sich also nur schwer erklären, warum nur behinderte Menschen einen "Teilhabeausweis" haben sollten. Zum anderen würde der Name die falsche Erwartung wecken, dass allein der Ausweis den Zugang zu Leistungen eröffnet.

Mein Fazit: Wenn, dann reicht es, das "Schwer-" aus dem Namen zu streichen. Wirklich etwas ändern wird aber nur der Abbau von Barrieren, ein Diskriminierungsverbot ohne Lücken und ein Teilhabegesetz, das den Namen verdient.

Von Sven Drebes

Der Begriff „Schwerbehindertenausweis“ insgesamt ist nicht mehr zeitgemäß. Ob eine Behinderung als schwerwiegend oder weniger schwerwiegend wahrgenommen wird, hängt von vielen Faktoren ab. Die zugrunde liegende Beeinträchtigung ist nur einer davon, wobei die Gewichtung von Mensch zu Mensch schwankt. Darüber hinaus muss eine Unterteilung in schwer und nicht schwer behinderte Menschen seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention zumindest in Frage gestellt werden.

Die Begriffe „Behinderung“ und „behindert“ halte ich allerdings für sehr gut geeignet, das Phänomen zu beschreiben. Menschen sind behindert, weil sie durch Barrieren in der Umwelt und / oder in den Köpfen an der vollen und gleichberechtigte Teilhabe gehindert werden. Auch wenn der Begriff schon deutlich älter ist als die UN-BRK, gibt er durch den möglichen Bezug auf die Hindernisse, die an der Teilhabe hindern, das aktuelle Verständnis von Behinderung recht gut wieder. Dieser Aspekt kommt weder bei den gängigen englischen noch bei den gängigen französischen, italienischen oder spanischen Begriffen zum Ausdruck, die sprachgeschichtlich alle irgendwie mit „unfähig“, „beschädigt“, „nicht vollständig“ oder „weniger wert“ zu tun haben. Auch „Handicap“ wird international von vielen aus diesem Grund abgelehnt.

Mir ist allerdings durchaus bewusst, dass „behindert“ in der Umgangssprache oft negativ belegt ist und leider immer häufiger als Schimpfwort missbraucht wird. Diese Barriere in den Köpfen wird aber nicht durch den Austausch von Begriffen beseitigt. Die Erfahrung zeigt vielmehr dass mühsam neu eingeführte Begriffe bisher früher oder später stets auch wieder negativ belegt waren. Das in den 1920er Jahren als positiver Gegenbegriff zu älteren abwertenden Wörtern entstandene „Behindert“ ist selbst ein Beispiel dafür.
Statt alle paar Jahre neue Namen und Begriffe zu erfinden, sollten wir dafür sorgen, dass sich gesellschaftliche Bild entgegen ändert, dass behinderte Menschen ein Defizit haben.

Von Behindert_im_System

Naja solange die das Ding nicht A.....Karte nennen da wir ja vereinzelt schon eine gezogen haben kann es mir egal sein, denn beeinflussen kann ich es nicht.

Von Lesebrille

Oops, es muss natürlich heissen: "So lange von mir immer noch..."

Zum besseren Verständnis: mit der Umfrage zum Begriff "schwerbehindert" meine ich die klassische (deutsche) Definition von Behinderung und nicht die der WHO,

Von Lesebrille

Der Gedanke dahinter mag wohl gut gewesen sein, im Ergebnis halte ich ihn jedoch, ähnlich wie "Wombat" für wenig zielführend.

Zum einen bin ich mir sicher, fragt man die Menschen auf der Strasse, was "schwerbehindert" bedeutet, werden sie alle eine Antwort haben. Selbst wenn es keine klare Abgrenzung zwischen leicht und schwer gibt, so ist doch allen klar, was es Pi mal Daumen bedeutet.

Anders bei der "Teilhabe". Selbst ich habe nach einer griffigen Definition erst gesucht und das gefunden: " „Einbezogensein in eine Lebenssituation“"*. Aaahja... . Wieviele Bürger*innen werden wohl diesen Satz so oder so ähnlich zusammenbringen?

Und - und das halte ich für weitaus wichtiger - bedeutet dieser Ausweis schon, dass unsere Teilhabe geglückt ist? Ich meine nein!

Genau an dieser Stelle wird es nun kompliziert. So lange von mir imm noch an ganz vielen Orten erwartet wird, dass ich eine Begleitperson mitbringe, obwohl ich dazu gar nicht verpflichtet bin, so lange ich noch Hintereingängen für Rollstuhlnutzer*innen und sonstigen Barrieren begegne, so lange halte ich die Teilhabe für (wesentlich) eingeschränkt. Der Ausweis jedoch könnte das Gegenteil suggerieren.

Auch könnte er dazu animieren, zum Beispiel Ermässigungen (z.B. in Museen) noch weiter einzufrieren, denn wir haben ja "ganz offensichtlich" schon Teilhabe... .

Dass man sich wünscht, endlich die Verhältnisse geradezurücken - wir sind nicht behindert, sondern werden es - kann ich nur zu gut verstehen. Die Umbenennung könnte jedoch zum Bumerang werden.

*Zitat aus Wikipedia, die wiederum die WHO zitiert, daher die Doppelung der Anführungsstriche.

Von Wombat

Ich halte das für keine gute Idee. Wenn es manche Mitbürger erst kapieren, wenn man ihnen den Schwerbehindertenausweis vorzeigt, dann wird es mit dem Verständnis wohl noch weniger weit her sein, wenn der Behindertenausweis einen banalen Namen erhält, den kein Normalbürger begreift.
Bei Schwerbehindertenausweis weiß nun jeder, was es bedeuet. Alles andere dauert sicher Ewigkeiten bis es dann auch der Letzte begriffen hat.
Ich sehe generell eine Verharmlosung in den Begriffen so wie unsere Kriegsminister sich nun z.B. Verteidigungsminister nennen, um es anders darzustellen als es ist.