Zwiespältiges Urteil des LSG NRW aus 2014 zur Assistenz

Veröffentlicht am von Gerhard Bartz

Justizia
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Bild: Thorben Wengert / pixelio.de

Essen (kobinet) In einem Urteil aus dem Jahre 2014, das seltsamerweise derzeit in laufende Antragsverfahren eingeführt wird, lässt das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen den Kostenvergleich des § 13 SGB XII zu. Es bezeichnet die Heimeinweisung als zumutbar, obgleich bekannt ist, dass der davon betroffene schwermehrfachbehinderte Mensch bereits für diesen Fall Suizidabsichten geäußert hat. Das Gericht bestreitet, dass der Artikel 19 der Behindertenrechtskonvention (BRK) selbstvollziehend sei. An anderer Stelle reduzierte das Gericht den beantragten Bedarf, weil der Vater durchaus in der Lage wäre, seinen ca. 45-jährigen Sohn zu pflegen. Hinsichtlich der Lohnhöhe schrieb das Gericht in sein Urteil: "Den vom Antragsteller angesetzten Bruttolohn von 11,79 EUR sieht der Senat als angemessen an, da es sich dabei um den Stundenlohn nach dem TVÖD-K EG 4 Stufe 2 handelt. Dies entspricht dem früheren BAT KR1, dem niedersten Tariflohn für ungelernte Pflegekräfte im Krankenhaus (Quelle: www.forsea.de)."

Wiederbelebungsversuche am § 13 SGB XII

Ein Kommentar von kobinet-Redakteur Gerhard Bartz

Totgesagte leben länger! Diese Aussage unter anderem von Erich Honecker trifft wohl auch auf den unseligen Teil des § 13 SGB XII zu. Unselig deshalb, weil es Menschen in Behörden und Gerichten möglich macht zu bestimmen, was anderen Menschen, die selbstbestimmt leben wollen, zumutbar sei. Zu dieser Beurteilung werden Kriterien herangezogen, die uns an unheilvolle Zeiten erinnern. So spielte auch bis vor wenigen Jahren beispielsweise die Intensität der Familienbeziehung, der Kontakt mit Nachbarn, Anzahl der Freunde, Einbindung in das soziale Leben in der Kommune (Vereine, Kirchen, Parteien) und vieles andere mehr eine wichtige Rolle. Nur der betroffene Mensch wurde nicht nach seinem Willen befragt. Galt es doch, seinen Freiheitswillen zu widerlegen. Schon sehr früh, nachdem die Behindertenrechtskonvention in Deutschland geltendes Recht wurde, richtete sich das Interesse behinderter Menschen auf den Artikel 19 der Konvention. Sehr rasch war klar, dass dieser Artikel hinreichend ausführbar formuliert wurde, so zum Beispiel, dass der Staat gewährleisten muss, dass: "Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben." Das LSG kannte die abweichende Ansicht des Präsidenten des Bundessozialgerichtes Peter Masuch zur Selbstvollziehung, zitierte diese auch in seinem Urteil, schloss sich jedoch dieser nicht an.

Selbst wenn man die Diskussion um die Selbstvollziehung außer Acht lässt. Dennoch müssen ältere Gesetze im Lichte eines Gleiches regelnden neuen Gesetzes interpretiert werden. Hierzu urteilte das LSG Baden Württemberg am 26.9.2012, Az.: L 2 SO 1378/11 "Die UN-BRK ist als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte heranzuziehen, insbesondere auch des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG; ebenso ist sie bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und bei der Ermessensausübung zu beachten."

Die zitierte Stelle im Art. 19 BRK ist in seiner Einfachheit ähnlich mit dem Artikel 3 GG: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden". Wenn also einem Mensch ohne Behinderung nie attestiert wird, dass eine Anstalt für ihn zumutbar wäre, dann darf dieses auch einem Menschen nicht zugemutet werden, wenn und weil er behindert ist.

Zu kritisieren ist auch, dass das LSG dem Vater des Antragstellers zumutet, in der Pflege für seinen über 45-jährigen Sohn mitzuwirken. Nach meiner Ansicht muss es für die Eltern irgendwann einmal gut sein. Sie können nicht bis zum Ende ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit finanziell und körperlich in Mithaftung genommen werden. Es darf nicht sein, dass sich unsere Gesellschaft auf dem Rücken der Angehörigen von den Kosten entlastet.

Ausgesprochen positiv ist jedoch, dass das Gericht eine eindeutige Aussage zur Angemessenheit der ForseA-Empfehlung für den Mindestlohn für die Assistenz traf. Diese Entscheidung kann fortan jedem Kostenträger entgegengehalten werden, der diese Angemessenheit anzweifelt. So haben in NRW beispielsweise die Landschaftsverbände eigene, darunter liegende Stundensätze festgeschrieben, die weder dem Einzelfall noch der jeweiligen Arbeitsmarktsituation Rechnung tragen. Die Landschaftsverbände müssten dieses Urteil kennen. Oder doch nicht?

Dass im Urteil auch ein Hin- und Hergeschiebe der Zuständigkeiten erwähnt wurde, sei nur noch am Rande erwähnt. Dieses Geschachere auf dem Rücken der Antragseller muss mit dem neuen Teilhabegesetz ein Ende bereitet werden. Nach der langen Vorbereitungszeit von sechs Jahren und der nun notwendigen Nacharbeit wird uns sicherlich ein Gesetzentwurf präsentiert, welcher der BRK Rechnung trägt und die lange Wartezeit rechtfertigt.

Lesermeinungen zu “Zwiespältiges Urteil des LSG NRW aus 2014 zur Assistenz” (1)

Von Gisela Maubach

Dann müssen wir in NRW wohl darauf hoffen, dass die Ankündigung zur Inklusion, die wir hier gerade im vergangenen Monat gelesen haben, auch tatsächlich umgesetzt wird . . . und nicht wieder nur der inhaltlosen Schönrederei dient:

http://www.kobinet-nachrichten.org/de/1/nachrichten/32904/Minister-Schmeltzer-hat-Inklusion-im-Fokus.htm

Wörtlich heißt es darin zur „Vorreiterrolle Nordrhein-Westfalens“ hinsichtlich des selbstbestimmten Lebens:

„Nach einhundert Tagen im Amt als Minister für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen hat Rainer Schmeltzer in Düsseldorf seine Schwerpunkte für das Jahr 2016 vorgestellt. Das Thema Inklusion ist dabei eines von dreien Topthemen.
Um die Inklusion in NRW weiter voranzubringen, wird der Sozialminister die Einrichtung von Kompetenzzentren für selbstbestimmtes Leben forcieren, heißt es in einer Presseinformation des Ministers. "Die Zentren werden als Anlaufstelle und zur Unterstützung behinderter Menschen in unserem Land einen wichtigen Beitrag zur Inklusion leisten. In keinem anderen Bundesland gibt es etwas Vergleichbares", so Rainer Schmeltzer. Die Vorreiterrolle Nordrhein-Westfalens, die auch beim vom Kabinett verabschiedeten Inklusionsstärkungsgesetz deutlich werde, will Minister Schmeltzer kontinuierlich ausbauen. "Ich rechne mit einer Verabschiedung des Gesetzes noch im ersten Halbjahr 2016." Dies werde ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung inklusive Gesellschaft, weil das Gesetz Ansprüche festschreibe. "Nordrhein-Westfalen ist hier auf einem guten Weg und deutlich weiter als andere", ist Minister Schmeltzer überzeugt.“ !!!